Risikofaktoren im Betrieb
Ob ein Mitarbeiter eine betriebliche Situation als belastend empfindet, hängt nicht zuletzt von seiner persönlichen Veranlagung und seinen Bewältigungsstrategien ab. Ein und dieselbe Tätigkeit oder Situation können je nach Einstellung unterschiedlich erfahren werden. So begreift der eine neue Aufgaben als willkommene Abwechslung und Herausforderung, während sich der andere zum Alten und Gewohnten zurücksehnt. Stress und Ermüdung schränken die Wahrnehmung, das Denken und die Reaktionsfähigkeit ein und führen auch zu körperlichen Beeinträchtigungen.
„Ein Mitarbeiter ist mehr als eine Arbeitskraft und ein Kostenfaktor. Er ist ein Mensch mit Leib und Seele.“
Einige typische Stressfaktoren können das Wohlgefühl der Mitarbeiter negativ beeinflussen. Die Gefahr einer psychischen Belastung ist umso größer, je mehr von ihnen zusammentreffen:
- Unter- und Überforderung: In beiden Fällen besteht eine Unstimmigkeit zwischen den Fähigkeiten des Mitarbeiters und den an ihn gestellten Anforderungen.
- Emotionale Belastungen: Sie entstehen vor allem, wenn eine Diskrepanz zwischen dem Empfinden des Mitarbeiters und seiner Rolle auftritt, beispielsweise wenn er Kollegen oder Kunden, die ihm zuwider sind, zuvorkommend behandeln muss.
- Technische Entwicklung: Manchen Mitarbeitern fällt es schwer, mit der rasanten Entwicklung im Kommunikations- und Technologiebereich Schritt zu halten. Auch technisch bedingte Systemausfälle und -abstürze verlangen mitunter eine hohe Frustrationstoleranz.
- Arbeitsorganisation: Mitarbeiter sind unzufrieden, wenn die Arbeitszeit nicht ihrer inneren Uhr entspricht, wenn die Personaldecke dünn ist, wenn sie zu wenig Pausen haben oder wenn sie im Schichtdienst arbeiten müssen.
Psychische Störungen
Werden psychische Störungen nicht oder nicht adäquat behandelt, können sie die Leistung sowie die intellektuellen Fähigkeiten einschränken und lange Arbeitsunfähigkeitszeiten nach sich ziehen. Dies sind die häufigsten Arten von Störungen:
- Affektive Störungen: Dazu zählen vor allem Depression und Manie. Symptome von Depression sind Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit, die Unfähigkeit, positive Gefühle zu empfinden, und die nachlassende Pflege sozialer Kontakte. Manie äußert sich in Hochstimmung, Selbstüberschätzung, Maßlosigkeit und exzessiven Handlungen. Der Betroffene reagiert oft sprunghaft und unkonzentriert. Ist die Störung bipolar, so wechselt er zwischen den Extremen Depression und Manie hin und her.
- Ängste: Sie führen dazu, dass der Betroffene Situationen ausweicht, die ihm bedrohlich scheinen. So meidet etwa jemand mit einer sozialen Phobie Kontakte, weil er Angst hat, von anderen negativ beurteilt zu werden.
- Zwänge: Bei Kontrollzwängen, die am häufigsten vorkommen, überprüft der Betroffene selbst Routinevorgänge wiederholt, um sich zu versichern, dass alles in Ordnung ist.
- Schizophrenie: Der Betroffene leidet unter Trugvorstellungen, hört mitunter innere Stimmen und kann seine Denkvorgänge nicht mehr kontrollieren.
- Persönlichkeitsstörungen: Der Betroffene reagiert starr und damit meist unzweckmäßig auf soziale Situationen und Herausforderungen. Bei der paranoiden Persönlichkeitsstörung sieht er selbst freundliches Verhalten anderer als feindlich an.
- Burn-out-Syndrom: Anders als die vorher genannten psychischen Beeinträchtigungen ist das Burn-out-Syndrom eindeutig mit dem Arbeitsplatz verbunden. Es entwickelt sich oft schleichend und mündet in eine negative Spirale, wenn der Betroffene versucht, seine durch Erschöpfung entstehenden Fehlleistungen durch erhöhten Einsatz zu kompensieren.
„Fast jeder zweite Bundesbürger erkrankt einmal in seinem Leben an einer psychischen Störung.“
Psychische Störungen spielen sich zwar im Inneren des Menschen ab und betreffen das Gefühls- und Gedankenleben, doch spiegeln sich diese Vorgänge im Verhalten der Betroffenen wider. Deshalb ist es möglich, als Außenstehender auf sie aufmerksam zu werden. Oft treten Veränderungen im Arbeits-, Leistungs- und Sozialverhalten des Betroffenen auf. Mitunter äußert er sich direkt über psychische oder körperliche Beschwerden. Da sich psychische Störungen meist langsam entwickeln, ist es wichtig, möglichst früh verdächtige Signale wahrzunehmen, allerdings ohne sie zu bewerten.
Sprechen Sie mit auffälligen Mitarbeiten
Spätestens wenn ein Mitarbeiter durch negative Veränderungen auffällt, z. B. Leistungsabfall oder gehäufte Fehlzeiten, sollten Sie mit ihm ein Gespräch führen. Bereiten Sie sich sorgfältig darauf vor. Vergegenwärtigen Sie sich die Verhaltensänderungen Ihres Mitarbeiters. Unterscheiden Sie zwischen den tatsächlichen Fakten und Ihren persönlichen Gefühlen. Klären Sie auch Ihre Beziehung zu dem Mitarbeiter. Auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin kann eine Person seines Vertrauens oder ein Betriebsratsmitglied anwesend sein.
„Unabhängig von der Konstitution des Mitarbeiters gibt es eine Reihe von Arbeitsanforderungen, die in sich schon widersprüchlich sind und das Risiko einer psychischen Fehlbelastung in sich bergen.“
Schaffen Sie eine vertrauensvolle Atmosphäre. Führen Sie das Gespräch ehrlich, offen und klar. Erklären Sie am Anfang, worum es Ihnen geht, und legen Sie den Zeitrahmen fest. Schildern Sie dann dem Mitarbeiter, welche Beobachtungen Sie hinsichtlich seines Verhaltens gemacht haben. Hören Sie seinen Ausführungen aufmerksam zu und stellen Sie durch Rückfragen sicher, dass Sie sie richtig verstanden haben. Versuchen Sie die Hintergründe und Bedingungen zu analysieren, die zu seiner abträglichen Verhaltensänderung geführt haben. Auf dieser Basis können Sie gemeinsam Lösungen entwickeln. Auch wenn die Ursachen im privaten Bereich liegen, kann das Unternehmen – etwa durch Arbeitsentlastung – Hilfe anbieten. Fassen Sie am Ende des Gesprächs die Ergebnisse zusammen und vereinbaren Sie positive Ziele.
„Am Arbeitsplatz kann sich die Störung als auffälliges Verhalten zeigen. Es kann auch zu Leistungsminderung, sozialem Rückzug, Ablenkung, Verlangsamung in den Bewegungsabläufen und zu nachlassender Belastbarkeit kommen.“
Planen Sie ein Folgegespräch, um ein Resümee zu ziehen. Sollte keine Besserung eingetreten sein, so machen Sie den Mitarbeiter darauf aufmerksam, welche Auswirkungen sein Verhalten auf den Betrieb und seine Kollegen hat. Treffen Sie in diesem Fall mit dem Mitarbeiter klare Vereinbarungen, die er zu erfüllen hat. Fordern Sie ihn ggf. auf, externe therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Rechnen Sie durchaus auch mit Versuchen seitens des Mitarbeiters, Sie zu manipulieren, einzuwickeln oder zu bedrängen. Sollten Sie nicht mehr Herr der Gesprächsführung sein, was sich dadurch bemerkbar machen kann, dass Sie unangemessen reagieren, sollten Sie das Diskussion beenden und zu einem späteren Zeitpunkt fortsetzen.
Behandlungsmöglichkeiten
Es spricht nichts dagegen, zweigleisig zu fahren: Sie können den Betroffenen innerbetrieblich unterstützen und zugleich auf externe Hilfe verweisen. Je nach Art und Tiefe der Störung gibt es verschiedene Behandlungsmöglichkeiten. An erster Stelle steht die Konsultation eines Facharztes. Darüber hinaus bieten Psychotherapeuten diverse Verfahren an, die von den Krankenkassen finanziert werden. Bedauerlicherweise sind in Großstädten die Wartezeiten oft lang. Viele Psychotherapeutenkammern und die Kassenärztliche Vereinigung bieten allerdings Notdienste an. Auch in den Ambulanzen psychiatrischer Kliniken oder in medizinischen Versorgungszentren findet man rasch Hilfe.
„Bei den meisten psychischen Störungen wird eine Kombination aus medizinischer und psychotherapeutischer Behandlung empfohlen.“
Die Sozialtherapie, die noch relativ neu ist, geht die Folgen psychischer Belastungen, z. B. Rückzug oder Antriebslosigkeit, mit Gesprächen und konkreten Alltagshilfen an. Auch die Ergotherapie kann bei psychischen Belastungen helfen. Sie zielt darauf, die Belastbarkeit wieder zu erhöhen und die womöglich eingeschlafenen kognitiven Fähigkeiten zu trainieren.
„Je eher ein Mensch mit einer psychischen Störung in Behandlung kommt, desto besser.“
Zudem gibt es ein großes Angebot an Beratungsstellen mit unterschiedlichen Schwerpunkten, seien es Familien- oder Erziehungsangelegenheiten, Süchte oder finanzielle Notlagen. Auch berufliche Trainingszentren können als Anlaufstelle in Erwägung gezogen werden. Sie stabilisieren den Betroffenen und führen ihn an die Erfordernisse des Arbeitsplatzes heran.
Betriebliche Entlastungsmöglichkeiten
Prüfen Sie, ob der betroffene Mitarbeiter womöglich über- oder unterfordert ist, und passen Sie seine Aufgaben entsprechend an. Auch eine grundlegende Neugestaltung der Arbeitszeit kann hilfreich sein: Bieten Sie dem Mitarbeiter die Option flexibler Arbeitszeiten an oder setzen Sie Schichtdienst zumindest vorübergehend aus. In bestimmten Fällen kann es sich auch positiv auswirken, wenn Sie dem Mitarbeiter einen Einzelarbeitsplatz geben. Bei sozialen Spannungen innerhalb einer Abteilung oder eines Teams helfen konfliktbereinigende Gespräche. Auch eine Versetzung innerhalb des Unternehmens kommt infrage. Allerdings muss man bedenken, dass es Charaktere gibt, die wie ein Magnet überall die gleichen Konflikte anziehen – hier wird eine Lösung durch ständiger Versetzungen eher verhindert. In solchen Fällen muss der Mitarbeiter im Team bleiben und angehalten werden, sich besser einzuordnen.
„Durch die Steigerung der Arbeitszeit und Arbeitsbelastung im Rahmen eines überwachten Stufenplans wird angestrebt, den Eingliederungsprozess günstig zu beeinflussen.“
Ist ein Mitarbeiter für längere Zeit arbeitsunfähig, sollten seine Vorgesetzten und Kollegen Kontakt zu ihm halten. Gliedern Sie einen Mitarbeiter nach längerer Abwesenheit stufenweise wieder in den Betrieb ein, um eine Überforderung zu vermeiden. Steigern Sie nach und nach die Arbeitszeit und die Belastung. Je nach Erkrankung gibt es einige Besonderheiten zu beachten: Für depressive Menschen sollten die ersten Wiedereingliederungstage erst gegen Mittag beginnen, weil sich die Betroffenen morgens meist in einem Stimmungstief befinden. Menschen mit Ängsten und Panikattacken sollten dem Betrieb erst einmal Besuche abstatten, um allmählich wieder Kontakt zu ihren Kollegen und ihrem Umfeld aufzunehmen. Ehemals manische Menschen schämen sich aufgrund ihrer früheren Auffälligkeiten oft vor ihren Kollegen. Letzteren muss daher klargemacht werden, dass die Verhaltensauffälligkeiten zum Krankheitsbild gehören und nun überstanden sind. Für Menschen mit Persönlichkeitsstörungen empfiehlt sich ein fester Ansprechpartner. Mitarbeiter mit Suchterkrankungen sollten im Betrieb natürlich nicht mit den Objekten ihrer Abhängigkeit in Berührung kommen.
Gesundheitliche Prävention im Betrieb
Gesundheitsorientierung und Prävention psychischer Belastungen müssen enttabuisiert und zum Unternehmensziel erklärt werden. In einem Klima des Vertrauens müssen Mitarbeiter über ihre Ängste und Beschwerden sprechen können, ohne zu befürchten, dass sie wegrationalisiert werden. Jeder einzelne Mitarbeiter muss geschätzt und gewürdigt werden. Auch eine familienfreundliche Einstellung, die es den Mitarbeitern erlaubt, Arbeit, Familie und Freizeit besser aufeinander abzustimmen, ist hilfreich und senkt Stress. Das Unternehmen sollte kollegiales Verhalten unter den Mitarbeitern belohnen und Ellbogenmentalität sanktionieren. Die Fähigkeiten jedes Mitarbeiters sollten seinen Aufgaben und Anforderungen entsprechen.
„Nur wer zu sich selber gut ist, kann auch zu anderen gut sein.“
Machen Sie die Unternehmensziele und -maßnahmen möglichst früh transparent und sorgen Sie für einen schnellen und reibungslosen Informationsfluss. Der häufige Wechsel von Vorgesetzten ist nicht produktiv, da diese die Eigenarten ihrer Mitarbeiter jeweils erst neu kennen lernen müssen. Angesichts unsicherer Situationen wie Umstrukturierungen sollten Sie sich intensiv um Ihre Mitarbeiter kümmern. Bieten Sie gemeinschaftliche Aktivitäten wie Betriebsausflüge oder die Teilnahme an Veranstaltungen an. Auch Betriebssport fördert das Gemeinschaftsgefühl.