Psychische Störungen bei Mitarbeitern

Buch Psychische Störungen bei Mitarbeitern

Ein Leitfaden für Führungskräfte und Personalverantwortliche – von der Prävention bis zur Wiedereingliederung

Springer,


Rezension

Glaubt man der als Dis­abil­ity-Man­agerin tätigen Buchautorin Ina Riechert, so haben viele Führungskräfte kein Auge für psychische Belastungen und Störungen ihrer Mitarbeiter. Und macht dann ein Mitarbeiter selbst auf eine bestehende Problematik aufmerksam, gerät er leicht in den Verdacht, dass er einen Vorwand dafür sucht, nicht arbeiten zu müssen. Riechert weckt in ihrem umfassenden Handbuch Verständnis für psychische Beeinträchtigungen, indem sie die möglichen Gefahren­quellen im Betrieb wie auch im All­t­agsleben der Mitarbeiter analysiert. Sie erklärt die häufigsten Beschwerden und erläutert, wie Führungskräfte mit psychisch angeschla­ge­nen Mi­tar­beit­ern umgehen sollten. Schließlich gibt die Autorin Tipps zur Prophylaxe und stellt externe Hil­f­sange­bote vor. BooksInShort empfiehlt dieses kompetente Fachbuch allen Führungskräften und Per­son­alver­ant­wortlichen, die lernen wollen, psychische Störungen zu erkennen und Hilfe anzubieten.

Take-aways

  • Psychische Störungen drücken sich im Verhalten aus. Das ermöglicht Außenstehenden, sie wahrzunehmen.
  • Häufige psychische Erkrankun­gen sind De­pres­sio­nen, Ängste und Zwangsver­hal­ten.
  • Ob eine Situation als belastend empfunden wird, hängt auch vom Charakter ab.
  • Risiko­fak­toren im Betrieb sind Unter- und Überforderung, emotionale Spannungen und eine ungünstige Ar­beit­sor­gan­i­sa­tion.
  • Führen Sie mit auffälligen Mi­tar­beit­ern ein klärendes Vier­au­genge­spräch.
  • Unterstützen Sie betroffene Mitarbeiter darin, sich bei psychischen Störungen behandeln zu lassen.
  • Fachärzte, Psycho- und Sozialther­a­peuten sowie zahlreiche Be­ratungsstellen bieten Hilfe.
  • Entlasten Sie betroffene Mitarbeiter beispiel­sweise durch flexible Arbeitszeit, neue Aufgaben oder in­ner­be­triebliche Versetzung.
  • Gliedern Sie Mitarbeiter, die lange gefehlt haben, schrit­tweise wieder in den Betrieb ein.
  • Die Un­ternehmen­skul­tur sollte mi­tar­beit­eror­i­en­tiert und das offene Gespräch über persönliche Schwierigkeiten kein Tabu sein.
 

Zusammenfassung

Risiko­fak­toren im Betrieb

Ob ein Mitarbeiter eine be­triebliche Situation als belastend empfindet, hängt nicht zuletzt von seiner persönlichen Veranlagung und seinen Bewälti­gungsstrate­gien ab. Ein und dieselbe Tätigkeit oder Situation können je nach Einstellung un­ter­schiedlich erfahren werden. So begreift der eine neue Aufgaben als willkommene Abwechslung und Her­aus­forderung, während sich der andere zum Alten und Gewohnten zurücksehnt. Stress und Ermüdung schränken die Wahrnehmung, das Denken und die Reaktionsfähigkeit ein und führen auch zu körperlichen Beeinträchtigungen.

„Ein Mitarbeiter ist mehr als eine Ar­beit­skraft und ein Kosten­fak­tor. Er ist ein Mensch mit Leib und Seele.“

Einige typische Stress­fak­toren können das Wohlgefühl der Mitarbeiter negativ bee­in­flussen. Die Gefahr einer psychischen Belastung ist umso größer, je mehr von ihnen zusam­men­tr­e­f­fen:

  • Unter- und Überforderung: In beiden Fällen besteht eine Un­stim­migkeit zwischen den Fähigkeiten des Mi­tar­beit­ers und den an ihn gestellten An­forderun­gen.
  • Emotionale Belastungen: Sie entstehen vor allem, wenn eine Diskrepanz zwischen dem Empfinden des Mi­tar­beit­ers und seiner Rolle auftritt, beispiel­sweise wenn er Kollegen oder Kunden, die ihm zuwider sind, zu­vork­om­mend behandeln muss.
  • Technische Entwicklung: Manchen Mi­tar­beit­ern fällt es schwer, mit der rasanten Entwicklung im Kom­mu­nika­tions- und Tech­nolo­giebere­ich Schritt zu halten. Auch technisch bedingte Systemausfälle und -abstürze verlangen mitunter eine hohe Frus­tra­tionstol­er­anz.
  • Ar­beit­sor­gan­i­sa­tion: Mitarbeiter sind unzufrieden, wenn die Arbeitszeit nicht ihrer inneren Uhr entspricht, wenn die Per­son­aldecke dünn ist, wenn sie zu wenig Pausen haben oder wenn sie im Schicht­di­enst arbeiten müssen.

Psychische Störungen

Werden psychische Störungen nicht oder nicht adäquat behandelt, können sie die Leistung sowie die in­tellek­tuellen Fähigkeiten einschränken und lange Arbeitsunfähigkeit­szeiten nach sich ziehen. Dies sind die häufigsten Arten von Störungen:

  • Affektive Störungen: Dazu zählen vor allem Depression und Manie. Symptome von Depression sind Niedergeschla­gen­heit, Antrieb­slosigkeit, die Unfähigkeit, positive Gefühle zu empfinden, und die nach­lassende Pflege sozialer Kontakte. Manie äußert sich in Hochstim­mung, Selbstüberschätzung, Maßlosigkeit und exzessiven Handlungen. Der Betroffene reagiert oft sprunghaft und un­konzen­tri­ert. Ist die Störung bipolar, so wechselt er zwischen den Extremen Depression und Manie hin und her.
  • Ängste: Sie führen dazu, dass der Betroffene Situationen ausweicht, die ihm bedrohlich scheinen. So meidet etwa jemand mit einer sozialen Phobie Kontakte, weil er Angst hat, von anderen negativ beurteilt zu werden.
  • Zwänge: Bei Kontrollzwängen, die am häufigsten vorkommen, überprüft der Betroffene selbst Routinevorgänge wiederholt, um sich zu versichern, dass alles in Ordnung ist.
  • Schiz­o­phre­nie: Der Betroffene leidet unter Trugvorstel­lun­gen, hört mitunter innere Stimmen und kann seine Denkvorgänge nicht mehr kon­trol­lieren.
  • Persönlichkeitsstörungen: Der Betroffene reagiert starr und damit meist unzweckmäßig auf soziale Situationen und Her­aus­forderun­gen. Bei der paranoiden Persönlichkeitsstörung sieht er selbst fre­undliches Verhalten anderer als feindlich an.
  • Burn-out-Syn­drom: Anders als die vorher genannten psychischen Beeinträchtigungen ist das Burn-out-Syn­drom eindeutig mit dem Ar­beit­splatz verbunden. Es entwickelt sich oft schleichend und mündet in eine negative Spirale, wenn der Betroffene versucht, seine durch Erschöpfung entste­hen­den Fehlleis­tun­gen durch erhöhten Einsatz zu kom­pen­sieren.
„Fast jeder zweite Bundesbürger erkrankt einmal in seinem Leben an einer psychischen Störung.“

Psychische Störungen spielen sich zwar im Inneren des Menschen ab und betreffen das Gefühls- und Gedanken­leben, doch spiegeln sich diese Vorgänge im Verhalten der Betroffenen wider. Deshalb ist es möglich, als Außenstehender auf sie aufmerksam zu werden. Oft treten Veränderungen im Arbeits-, Leistungs- und Sozialver­hal­ten des Betroffenen auf. Mitunter äußert er sich direkt über psychische oder körperliche Beschwerden. Da sich psychische Störungen meist langsam entwickeln, ist es wichtig, möglichst früh verdächtige Signale wahrzunehmen, allerdings ohne sie zu bewerten.

Sprechen Sie mit auffälligen Mitarbeiten

Spätestens wenn ein Mitarbeiter durch negative Veränderungen auffällt, z. B. Leis­tungsab­fall oder gehäufte Fehlzeiten, sollten Sie mit ihm ein Gespräch führen. Bereiten Sie sich sorgfältig darauf vor. Vergegenwärtigen Sie sich die Verhaltensänderungen Ihres Mi­tar­beit­ers. Un­ter­schei­den Sie zwischen den tatsächlichen Fakten und Ihren persönlichen Gefühlen. Klären Sie auch Ihre Beziehung zu dem Mitarbeiter. Auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin kann eine Person seines Vertrauens oder ein Be­trieb­sratsmit­glied anwesend sein.

„Unabhängig von der Kon­sti­tu­tion des Mi­tar­beit­ers gibt es eine Reihe von Ar­beit­san­forderun­gen, die in sich schon widersprüchlich sind und das Risiko einer psychischen Fehlbe­las­tung in sich bergen.“

Schaffen Sie eine ver­trauensvolle Atmosphäre. Führen Sie das Gespräch ehrlich, offen und klar. Erklären Sie am Anfang, worum es Ihnen geht, und legen Sie den Zeitrahmen fest. Schildern Sie dann dem Mitarbeiter, welche Beobach­tun­gen Sie hin­sichtlich seines Verhaltens gemacht haben. Hören Sie seinen Ausführungen aufmerksam zu und stellen Sie durch Rückfragen sicher, dass Sie sie richtig verstanden haben. Versuchen Sie die Hintergründe und Bedingungen zu analysieren, die zu seiner abträglichen Verhaltensänderung geführt haben. Auf dieser Basis können Sie gemeinsam Lösungen entwickeln. Auch wenn die Ursachen im privaten Bereich liegen, kann das Unternehmen – etwa durch Ar­beitsent­las­tung – Hilfe anbieten. Fassen Sie am Ende des Gesprächs die Ergebnisse zusammen und vereinbaren Sie positive Ziele.

„Am Ar­beit­splatz kann sich die Störung als auffälliges Verhalten zeigen. Es kann auch zu Leis­tungs­min­derung, sozialem Rückzug, Ablenkung, Ver­langsamung in den Be­we­gungsabläufen und zu nach­lassender Be­last­barkeit kommen.“

Planen Sie ein Folgegespräch, um ein Resümee zu ziehen. Sollte keine Besserung eingetreten sein, so machen Sie den Mitarbeiter darauf aufmerksam, welche Auswirkun­gen sein Verhalten auf den Betrieb und seine Kollegen hat. Treffen Sie in diesem Fall mit dem Mitarbeiter klare Vere­in­barun­gen, die er zu erfüllen hat. Fordern Sie ihn ggf. auf, externe ther­a­peutis­che Hilfe in Anspruch zu nehmen. Rechnen Sie durchaus auch mit Versuchen seitens des Mi­tar­beit­ers, Sie zu ma­nip­ulieren, einzuwick­eln oder zu bedrängen. Sollten Sie nicht mehr Herr der Gesprächsführung sein, was sich dadurch bemerkbar machen kann, dass Sie unangemessen reagieren, sollten Sie das Diskussion beenden und zu einem späteren Zeitpunkt fortsetzen.

Be­hand­lungsmöglichkeiten

Es spricht nichts dagegen, zweigleisig zu fahren: Sie können den Betroffenen in­ner­be­trieblich unterstützen und zugleich auf externe Hilfe verweisen. Je nach Art und Tiefe der Störung gibt es ver­schiedene Be­hand­lungsmöglichkeiten. An erster Stelle steht die Kon­sul­ta­tion eines Facharztes. Darüber hinaus bieten Psy­chother­a­peuten diverse Verfahren an, die von den Krankenkassen finanziert werden. Be­dauer­licher­weise sind in Großstädten die Wartezeiten oft lang. Viele Psy­chother­a­peutenkam­mern und die Kassenärztliche Vereinigung bieten allerdings Notdienste an. Auch in den Ambulanzen psy­chi­a­trischer Kliniken oder in medi­zinis­chen Ver­sorgungszen­tren findet man rasch Hilfe.

„Bei den meisten psychischen Störungen wird eine Kombination aus medi­zinis­cher und psy­chother­a­peutis­cher Behandlung empfohlen.“

Die Sozialther­a­pie, die noch relativ neu ist, geht die Folgen psychischer Belastungen, z. B. Rückzug oder Antrieb­slosigkeit, mit Gesprächen und konkreten All­t­agshil­fen an. Auch die Er­gother­a­pie kann bei psychischen Belastungen helfen. Sie zielt darauf, die Be­last­barkeit wieder zu erhöhen und die womöglich eingeschlafe­nen kognitiven Fähigkeiten zu trainieren.

„Je eher ein Mensch mit einer psychischen Störung in Behandlung kommt, desto besser.“

Zudem gibt es ein großes Angebot an Be­ratungsstellen mit un­ter­schiedlichen Schw­er­punk­ten, seien es Familien- oder Erziehungsan­gele­gen­heiten, Süchte oder finanzielle Notlagen. Auch berufliche Train­ingszen­tren können als An­lauf­stelle in Erwägung gezogen werden. Sie sta­bil­isieren den Betroffenen und führen ihn an die Er­fordernisse des Ar­beit­splatzes heran.

Be­triebliche Ent­las­tungsmöglichkeiten

Prüfen Sie, ob der betroffene Mitarbeiter womöglich über- oder un­ter­fordert ist, und passen Sie seine Aufgaben entsprechend an. Auch eine grundle­gende Neugestal­tung der Arbeitszeit kann hilfreich sein: Bieten Sie dem Mitarbeiter die Option flexibler Ar­beit­szeiten an oder setzen Sie Schicht­di­enst zumindest vorübergehend aus. In bestimmten Fällen kann es sich auch positiv auswirken, wenn Sie dem Mitarbeiter einen Einze­lar­beit­splatz geben. Bei sozialen Spannungen innerhalb einer Abteilung oder eines Teams helfen kon­flik­t­bere­ini­gende Gespräche. Auch eine Versetzung innerhalb des Un­ternehmens kommt infrage. Allerdings muss man bedenken, dass es Charaktere gibt, die wie ein Magnet überall die gleichen Konflikte anziehen – hier wird eine Lösung durch ständiger Ver­set­zun­gen eher verhindert. In solchen Fällen muss der Mitarbeiter im Team bleiben und angehalten werden, sich besser einzuordnen.

„Durch die Steigerung der Arbeitszeit und Ar­beits­be­las­tung im Rahmen eines überwachten Stufenplans wird angestrebt, den Eingliederung­sprozess günstig zu bee­in­flussen.“

Ist ein Mitarbeiter für längere Zeit arbeitsunfähig, sollten seine Vorge­set­zten und Kollegen Kontakt zu ihm halten. Gliedern Sie einen Mitarbeiter nach längerer Abwesenheit stufenweise wieder in den Betrieb ein, um eine Überforderung zu vermeiden. Steigern Sie nach und nach die Arbeitszeit und die Belastung. Je nach Erkrankung gibt es einige Beson­der­heiten zu beachten: Für depressive Menschen sollten die ersten Wiedere­ingliederungstage erst gegen Mittag beginnen, weil sich die Betroffenen morgens meist in einem Stim­mungstief befinden. Menschen mit Ängsten und Panikat­tacken sollten dem Betrieb erst einmal Besuche abstatten, um allmählich wieder Kontakt zu ihren Kollegen und ihrem Umfeld aufzunehmen. Ehemals manische Menschen schämen sich aufgrund ihrer früheren Auffälligkeiten oft vor ihren Kollegen. Letzteren muss daher klargemacht werden, dass die Ver­hal­tensauffälligkeiten zum Krankheits­bild gehören und nun überstanden sind. Für Menschen mit Persönlichkeitsstörungen empfiehlt sich ein fester Ansprech­part­ner. Mitarbeiter mit Suchterkrankun­gen sollten im Betrieb natürlich nicht mit den Objekten ihrer Abhängigkeit in Berührung kommen.

Gesund­heitliche Prävention im Betrieb

Gesund­heit­sori­en­tierung und Prävention psychischer Belastungen müssen ent­tabuisiert und zum Un­ternehmen­sziel erklärt werden. In einem Klima des Vertrauens müssen Mitarbeiter über ihre Ängste und Beschwerden sprechen können, ohne zu befürchten, dass sie we­gra­tional­isiert werden. Jeder einzelne Mitarbeiter muss geschätzt und gewürdigt werden. Auch eine fam­i­lien­fre­undliche Einstellung, die es den Mi­tar­beit­ern erlaubt, Arbeit, Familie und Freizeit besser aufeinander abzustimmen, ist hilfreich und senkt Stress. Das Unternehmen sollte kollegiales Verhalten unter den Mi­tar­beit­ern belohnen und Ell­bo­gen­men­talität sank­tion­ieren. Die Fähigkeiten jedes Mi­tar­beit­ers sollten seinen Aufgaben und An­forderun­gen entsprechen.

„Nur wer zu sich selber gut ist, kann auch zu anderen gut sein.“

Machen Sie die Un­ternehmen­sziele und -maßnahmen möglichst früh transparent und sorgen Sie für einen schnellen und rei­bungslosen In­for­ma­tions­fluss. Der häufige Wechsel von Vorge­set­zten ist nicht produktiv, da diese die Eigenarten ihrer Mitarbeiter jeweils erst neu kennen lernen müssen. Angesichts unsicherer Situationen wie Um­struk­turierun­gen sollten Sie sich intensiv um Ihre Mitarbeiter kümmern. Bieten Sie gemein­schaftliche Aktivitäten wie Be­trieb­sausflüge oder die Teilnahme an Ve­r­anstal­tun­gen an. Auch Be­trieb­ss­port fördert das Gemein­schafts­gefühl.

Über die Autorin

Ina Riechert arbeitet als Psy­chother­a­peutin und Dis­abil­ity-Man­agerin. Außerdem schult sie seit 20 Jahren Führungskräfte, Per­son­alver­ant­wortliche und Betriebsräte.