Das Phänomen Familienunternehmen
Familienunternehmen bestehen aus Gesellschaftern, die miteinander verwandt sind; manchmal auch aus mehreren Familien, wobei die Unternehmensgründer in der Regel sehr partnerschaftlich zusammengearbeitet haben. Die Gesellschafter von Familienunternehmen lassen sich nicht ohne Weiteres austauschen, und gewöhnlich profitieren die Unternehmen von deren überdurchschnittlichem Engagement. Das gilt für einen von Geschwistern geführten Handwerksbetrieb genauso wie etwa für ein Start-up dreier Partner, das sich zu einem Großunternehmen entwickelt hat und im Besitz der Gründerfamilien bleibt.
„Das Familienunternehmen ist eine Veranstaltung wider den Zeitgeist.“
Ein Familienunternehmen bedeutet für seine Gesellschafter oft eine erhebliche Risikokonzentration: Unternehmensschicksal und Familienschicksal sind auf Gedeih und Verderb miteinander verknüpft, was spätestens in den Generationen, die den Gründern nachfolgen, den wirtschaftlich vernünftigen Wunsch nach Herauslösung eines Gesellschafteranteils wecken mag. Ein Familienunternehmen kann aber nur Bestand haben, wenn die Zerfallskräfte nicht stärker sind als die Bindungskräfte. Es ist sozusagen eine unternehmerische Aufgabe, die vielfältigen Bindungskräfte in einer Familienfirma zu pflegen.
Wer gehört zur Familie?
Als Familie werden in diesem Zusammenhang in der Regel die Abkömmlinge des Gründers oder der Gründer angesehen, heutzutage auch Halbgeschwister oder nichteheliche Kinder. Ehe- oder Lebenspartner dagegen sind gewöhnlich ausgeschlossen. Das hat vor allem damit zu tun, dass sie im Fall von Tod und Wiederverheiratung in nicht voraussehbarer Weise familienfremde Elemente in den Verband einbringen würden; bei Personen, die nicht von vornherein vom Familienunternehmen geprägt sind, ist das Risiko hoch, dass sie den Familien- und Gesellschafterverband sprengen. Besteht ein Interesse, Ehepartner in leitender Funktion an das Unternehmen zu binden, wird dies eher durch entsprechende Verträge gestaltet als durch Inhaberschaft.
Familienunternehmen als Projekt
Die Inhaberfamilie ist Träger des Unternehmens, aber mit diesem natürlich nicht identisch. Nach zwei, drei oder gar mehr Generationen, bei Dutzenden, manchmal Hunderten von Abkömmlingen, ist es ganz normal, wenn Leitungsfunktionen nicht mehr mit Familienmitgliedern besetzt sind, sondern mit geschäftsführenden Managern. Gleichwohl bleibt die Firma ein Familienunternehmen. Die Familie lässt sich in diesem Fall am ehesten mit einem Verein vergleichen, dessen Zweck die Fortführung der Organisation ist. Wichtigster Unterschied zum Verein ist, dass die Mitgliedschaft nicht freiwillig entsteht und meistens auch nicht ohne Weiteres niedergelegt werden kann.
Verantwortungsgefühl – eine wichtige Erfolgsvoraussetzung
Als Firmeninhaber nehmen die Gesellschafter Eigentumsrechte wahr. Diese gehen mit einer gewissen Verantwortung einher. Über die üblichen mit Eigentum verbundenen formaljuristischen Verpflichtungen hinaus besteht in der Regel ein Interesse daran, das Unternehmen langfristig für künftige Generationen zu erhalten. Als Familienmitglieder wachsen die künftigen Gesellschafter in die Verantwortung hinein und ergreifen dadurch schon früh psychisch Besitz von diesem Erbe. Wenn die Gesellschafter in der Firma nicht aktiv mitarbeiten können, sollen oder wollen, tragen sie die primäre Verantwortung, eine kompetente Unternehmensleitung zu bestellen.
„Die Gesellschafter müssen nicht selbst ihr Unternehmen führen, aber sie haben eine Verantwortung sicherzustellen, dass die Aufgabe der Unternehmensführung gut erfüllt wird.“
Das Verantwortungsgefühl für das Familienunternehmen entsteht durch Erziehung, Erfahrung, bewusst machendes Erzählen der Unternehmensgeschichte, Mitteilungen und Zuwendungen der Gesellschafter untereinander sowie der Geschäftsführer gegenüber den Gesellschaftern. Die Gesellschafter müssen nicht operativ führen können, aber sie sollen in der Lage sein, die Voraussetzungen und Notwendigkeiten von Führungs- und wirtschaftlichem Handeln zu verstehen und zu beurteilen. In diesem Kreis müssen gelegentlich Entscheidungen gefällt werden, bei denen im Zweifel die „Firma vor die Familie“ gestellt wird. Dieses oft gehörte Diktum bleibt aber inhaltsleer, denn wenn nicht gleichzeitig die individuellen Interessen der Gesellschafter berücksichtigt werden, ist einer Firma als Familienunternehmen keine lange Dauer beschieden.
„Jede Form von Verantwortungsbewusstsein wird zuerst im Rahmen des elterlichen Erziehungsprozesses geweckt. Das gilt natürlich auch für die Inhaberverantwortung.“
Nicht alle Familienmitglieder können in der Firma mitarbeiten. Meist ist das auch gar nicht erwünscht oder sogar regelrecht ausgeschlossen. Wenn Familienmitglieder mitarbeiten, sind es gewöhnlich ausgewiesene Führungskräfte, die auf der obersten Entscheidungsebene tätig sind. Alles andere führt zu Interessenkonflikten oder Nepotismus. In der Regel üben die Gesellschafter einen eigenen Beruf aus, der von der Familienfirma unabhängig ist.
Bindungsfaktoren bewusst managen
Wenn die Mehrzahl der Gesellschafter nicht am operativen Geschäft der Firma beteiligt ist, treten die Bindungsfaktoren der Familie im Hinblick auf das Unternehmen umso mehr in den Vordergrund. Außer durch die bereits genannten erzieherischen Maßnahmen während der Jugend lässt sich Bindung mit folgenden Faktoren verstärken:
- Aktivitäten, die die Reputation der Firma stärken (Wohltätigkeit): Dies führt auch zu einer Steigerung des Selbstwertgefühls der Gesellschafter.
- Materieller Nutzen: Neben der Gewinnausschüttung und eventuellen Sonderausschüttungen können dies Ausbildungsbeihilfen, Beraterhonorare oder Beschäftigungsmöglichkeiten in firmen- oder familiennahen Organisationen (z. B. Stiftungen) sein.
- Vermögenssicherung durch von der Familie verwaltete Kapitalanlagen außerhalb der Firma.
- Vermögenssicherung durch weitere unternehmerische Aktivitäten außerhalb der Familienfirma: Derartige Aktivitäten sind oft einem Family-Office zugeordnet.
- Eine faire Verfassung oder Charta, die sich der Gesellschafterverband selbst gibt: Sie kann durchaus dem Muster einer Staatsverfassung entsprechen. Hierin werden Ziele, Strategien und Grundsätze formuliert. In der Charta kann und soll zudem ein Minderheitenschutz bestimmter Gesellschaftergruppen vorgesehen werden.
- Repräsentative oder sonstige Ämter im Umkreis des Unternehmens.
- Eine besonders intensive, u. U. wissenschaftlich betriebene Aufarbeitung der Firmengeschichte: Dies kann bei den Gesellschaftern die Identifizierung mit der Firma über die mündlich tradierte Firmen- und Familiengeschichte hinaus stärken.
- Weithin wirksame architektonische Projekte wie Museen oder museale Räume, z. B. eine Gründerwerkstatt.
- Publizistische Projekte wie Biografien oder Autobiografien des Gründers bzw. der Gründer oder herausragender Unternehmerpersönlichkeiten aus dem Gesellschafterkreis.
Bindungsfaktor Kommunikation
Umfassende und vertrauensvolle Kommunikation auf allen Ebenen spielt als Bindungsfaktor für den Zusammenhalt in der Unternehmerfamilie eine überragende Rolle. Dieses Gebot gilt nicht nur im Familienrat, auf Jahresversammlungen und in Infobroschüren. Die ständige Kommunikation mit allen Familienmitgliedern ist nicht nur Aufgabe der Unternehmensleitung, sondern bei größeren Familienverbänden auch der Führung des Gesellschafterkreises. Sie kann der Großfamilie mit Veranstaltungen außerhalb des Sitzungszimmers zwanglosere Kommunikationsformen bieten. Das können gemeinsame Besichtigungen der eigenen Betriebsstätten sein, aber auch solche bei Kunden und Lieferanten; ferner gemeinsame Veranstaltungen mit Projektthemen, Betriebsausflüge, Jubiläen oder gar gemeinsame Ferienaufenthalte. Nicht zu vergessen sind natürlich private Familienfeiern, auch wenn sie selbstverständlich nicht zur Firmenveranstaltung umfunktioniert werden sollen und meist eher vom Kern der Familie besucht werden.
„Es ist entscheidend für das Gefühl der Zusammengehörigkeit, dass Gelegenheiten geschaffen werden, bei denen sich die Gesellschafter im persönlichen Kreis austauschen und so ein Verständnis füreinander und das Gefühl von Nähe zueinander entwickeln können.“
Auf offizieller Ebene ist es wichtig, dass jegliche Kommunikation, die Sachfragen betrifft, offen und transparent unter den Gesellschaftern stattfindet. Ist dies nicht der Fall, entsteht schnell Misstrauen und dieses wiederum ist die Basis für Konflikte.
Familienstreitigkeiten
Konflikte innerhalb der Familie können die Existenz des Unternehmens bedrohen. Dieses Problem kennen börsennotierte Unternehmen in dieser Art nicht. Bei ihnen führt fast ausschließlich verfehlte Geschäftspolitik zu Problemen, aber kein Inhaberstreit. In Familienunternehmen verlangt die Lösung von Konflikten deshalb besondere Aufmerksamkeit. Dies umso mehr, als oftmals gerade aus anfänglichem familiären Harmoniebedürfnis heraus eine Tendenz besteht, Probleme unter den Teppich zu kehren.
„Die vermeintliche Reduzierung von Konfliktgefahren dadurch, dass man sich ‚aus dem Weg geht‘ und die direkte Kommunikation verweigert, führt letztlich zu einer erhöhten Konfliktgefahr.“
Unberücksichtigt bleiben in diesem Zusammenhang Machtkämpfe. Sie haben eine andere Dimension und Dynamik und müssen ausgefochten werden. Man muss aber auch darauf achtgeben, dass man nicht in jeder Frotzelei oder Meinungsverschiedenheit gleich einen Fundamentalstreit sieht. Die kritische Grenze ist in der Regel dann überschritten, wenn die Diskussion über Sachthemen durch persönliche Angriffe oder gegenseitiges Schlechtmachen behindert wird. Die häufigsten Konfliktursachen sind:
- unterschiedliche Beurteilungen von Entscheidungen, Strategien und Personen,
- unterschiedliche Bewertungen von Zielen,
- Verteilungskonflikte, wozu auch die Besetzung von Positionen zählt,
- Ungleichheit, Unsicherheit und Misstrauen sowie Missverständnisse – wobei sich Letztere am leichtesten ausräumen lassen, evtl. mithilfe eines Moderators –,
- Rivalitäten (z. B. unter Geschwistern) und
- Nachfolgeprobleme (etwa das Problem des übergangenen Aspiranten oder der berühmte Vater-Sohn-Konflikt bezüglich der Zukunft des Unternehmens).
Wie man Konflikte löst
Ein Konflikt löst sich nicht auf, indem man ihn ignoriert. Leider wird diese klare und einfache Einsicht in der Realität oft ignoriert. Das hat zur Folge, dass Konflikte früher oder später eskalieren. Neben allgemeinen Regeln der Konfliktdeeskalation kommen für Familienunternehmen folgende Methoden zur Konfliktvermeidung oder zum Konfliktabbau in Betracht:
- grundsätzliche Trennung der Unternehmensfinanzen von den Familienfinanzen,
- Verhandlungen und Schlichtungen, evtl. mithilfe von Dritten, sei es einer anerkannten Autoritätsperson aus der Familie oder einer außenstehenden Person, und
- Vermeidung von Publizität.
„Mit der Androhung rechtlicher Schritte, der Einschaltung eines Anwalts oder gar der endgültigen Einleitung eines Gerichtsverfahrens wird die familiäre Beziehung aufgelöst.“
Ungeeignet wäre ein gerichtlicher Beschluss: Durch ihn wird zwar eine Entscheidung herbeigeführt, der Konflikt löst sich aber nicht auf. Ein Gang zum Gericht beendet erfahrungsgemäß die familiäre Beziehung – analog zur Ehescheidung.