Des Reichtums fette Beute

Buch Des Reichtums fette Beute

Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert

Campus,


Rezension

Noch so eine Kampf­schrift eines ewig gestrigen Kap­i­tal­is­muskri­tik­ers, könnte man mit Blick auf die knallroten Titel­let­tern meinen. Klar, die Raffkes sind an allem schuld. Und was gibt’s sonst Neues auf der Welt? Ziemlich viel, denn Gustav Horn entlarvt mit seiner sorgfältigen Analyse etliche Bin­sen­weisheiten der ne­olib­eralen Schule als gefährliche Trugschlüsse: Die Ar­beits­mark­tre­for­men als Bedingung dafür, dass Deutschland heute so prächtig dasteht? Weit gefehlt, sie waren der Humus, auf dem die Saat der Krise erst so richtig aufgehen konnte. Dynamische Finanzmärkte als Vo­raus­set­zung für eine florierende Wirtschaft? Im Gegenteil, sie würgen in guten Zeiten das Wachstum ab und reißen in schlechten Un­beteiligte mit in den Abgrund. Horns weit reichende Vorschläge für einen Sys­temwech­sel dürften Regierungspoli­tik­ern, Vermögenden und Fi­nanz­mark­tak­teuren den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Wer sich dagegen für alternative wirtschaft­spoli­tis­che Ideen in­ter­essiert, wird sich bei der Lektüre freuen. Beiden Parteien empfiehlt BooksInShort dieses Buch.

Take-aways

  • Das neoliberale Wirtschafts­dogma mit seiner Vorstellung von freien Märkten, die Stabilität und Wohlstand schaffen, ist gescheitert.
  • Unsichere Finanzmärkte und wachsende Un­gle­ich­heit führten 2008 in die Krise.
  • Die Realeinkom­men blieben hinter dem Produktivitätszuwachs zurück, die Bin­nen­nach­frage sank.
  • Überschüssiges Kapital reiste auf der Suche nach immer höheren Renditen rund um den Globus.
  • Der Preis für Deutsch­lands Exportüberschuss war eine wachsende Ver­schul­dung in Defizitländern.
  • Als die Blase platzte, wurde der Ruf nach dem zuvor viel geschmähten Staat laut.
  • Kon­junk­tur­pro­gramme wirken, wenn sie dazu ermutigen, sofort Geld auszugeben.
  • Die Finanzmärkte müssen sich gesund­schrumpfen, um weiteren Krisen vorzubeugen.
  • Arbeit muss sich wieder lohnen: Wir brauchen höhere Steuern auf Erbschaften, Kapitalvermögen, Fi­nanz­transak­tio­nen und Immobilien.
  • Europa muss seine Wirtschaft­spoli­tik ko­or­dinieren und Leis­tungs­bi­lanzun­ter­schiede abbauen.
 

Zusammenfassung

Auf dem Irrweg

Eine Kassiererin wird gefeuert, weil sie wider­rechtlich Leergutbons im Wert von 1,30 € eingelöst hat. Ein In­vest­ment­banker einer Pleitebank, die mit Milliarden an Steuergeldern gerettet wurde, erstreitet vor Gericht Bonuszahlun­gen. Diese Beispiele sind symp­to­ma­tisch für die Entwicklung der vergangenen zwei Jahrzehnte: Eine kleine, globale Elite greift auf immer größere Brocken des Wirtschaftswach­s­tums zu und teilt die Beute unter ihres­gle­ichen auf. Gerecht­fer­tigt wird dies mit der irrigen Annahme, dass freie, un­reg­ulierte Märkte Wohlstand und Stabilität schüfen und der Staat sich so weit wie möglich rauszuhal­ten habe. Aus­gerech­net der sozialdemokratis­che Kanzler Gerhard Schröder profilierte sich als Champion einer ne­olib­eralen Politik des Sozial­ab­baus und der Schwächung von Gew­erkschaften. Die ange­bot­sori­en­tierte Strategie sollte dazu führen, Güter und Di­en­stleis­tun­gen billiger zu machen und so die Nachfrage anzukurbeln. Leider zeigten die Reformen kaum Erfolg: Die deutsche Wirtschaft stagnierte, Ar­beit­slosigkeit und Staatsver­schul­dung stiegen weiter an. Bis die Große Koalition 2005 einen leichten Kursschwenk vornahm und kon­junk­turstim­ulierende Maßnahmen ergriff. Von dem da­rauf­fol­gen­den Aufschwung profitierte die Mehrheit jedoch nicht: Die Mehrw­ert­s­teuer­erhöhung und ex­plodierende Rohstoff­preise belasteten Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen, die Reallöhne blieben deutlich hinter dem Produktivitätszuwachs zurück. Zugleich stiegen die Gewinne von Unternehmen und Aktionären.

Kapital hui, Arbeit pfui

Noch bis zum Beginn der 1980er Jahre gab es eine Tendenz zur immer stärkeren Gle­ichverteilung der Einkommen in Deutschland. Doch seither geht die Wohl­standss­chere wieder auseinander, eine Entwicklung, die seit 2000 an Fahrt gewonnen hat. Einerseits sanken die Einkünfte der Mehrheit im Zuge der Ar­beits­mark­tre­for­men. An­der­er­seits ermöglichte die Dereg­ulierung der Finanzmärkte es wenigen Spezial­is­ten, schwindel­er­re­gend hohe Einkommen zu erzielen. Der Spitzen­s­teuer­satz sank von 56 auf 42 %. Auf Kap­i­taleinkom­men fallen pauschal nur 25 % an. Die Folge: Arbeit lohnt sich immer weniger. Die Gruppen der Gut- und Ger­ingver­di­ener wachsen, die Mit­telschicht schrumpft, während ihre Kaufkraft stagniert. Unternehmen sanieren sich auf Kosten der Steuerzahler, indem sie Gehälter zahlen, die unter der Grund­sicherung liegen und vom Staat aufgestockt werden. Lohnzurückhaltung wurde als All­heilmit­tel für eine dy­namis­chere, wet­tbe­werbsfähigere Wirtschaft angepriesen und bewirkte letztlich doch das Gegenteil.

Umverteilung und Un­sicher­heit

Die Vorstellung von stabilen Märkten und rationalen Mark­t­teil­nehmern ist nicht nur idiotisch, sondern auch gefährlich. In Wahrheit geht es auf Finanzmärkten chaotisch zu. Investoren handeln intuitiv und un­vorherse­hbar. Sie huldigen Gurus und folgen blind der Herde, bis ein Leittier eine neue Witterung aufnimmt und in die ent­ge­genge­set­zte Richtung galoppiert. Dies führt zur rasanten Steigerung und anschließenden Vernichtung von Vermögen an den Finanzmärkten. Die Re­al­wirtschaft wird von dieser Un­sicher­heit angesteckt, da das Auf und Ab an den Finanzmärkten den In­vesti­tion­sprozess, wenn auch mit einer gewissen Verzögerung, mitreißt. Das Fi­nanz­mark­trisiko ist mit dem der Atomkraft zu vergleichen: Man nahm an, die Märkte würden im Lauf der Zeit immer sicherer, und man glaubte, für Unfälle nicht mehr Vorsorge treffen zu müssen. In­vest­ment­banker wurden durch Bonussys­teme zu kred­it­fi­nanzierten Speku­la­tio­nen ermutigt – angefeuert vom wachsenden Kapital der Wohlhaben­den, das nach immer höheren Renditen verlangte. Dem stand eine sinkende Kaufkraft in der Gesamtbevölkerung gegenüber, Bin­nen­nach­frage und In­vesti­tio­nen gingen zurück.

„Deutschland hat sich auf den Weg zu einem plu­tokratis­chen System begeben, einem System also, das der Herrschaft des Reichtums unterliegt.“

Innerhalb von Europa führte dies zu enormen Un­gle­ichgewichten. Deutschland gewann aufgrund stag­nieren­der Löhne an in­ter­na­tionaler Wet­tbe­werbsfähigkeit, der Export legte deutlich zu, und mit ihm die Außenhandelsüberschüsse. In anderen Ländern, etwa in Griechen­land und Spanien, stiegen die Löhne; diese Länder verloren Mark­tan­teile auf den Exportmärkten und fuhren Defizite ein. Kurzfristig ist eine solche Schieflage kein Problem, langfristig aber schon. Denn die Überschussländer häufen Kapital an, das sie an die Defizitländer verleihen, wodurch diese sich immer höher verschulden – ein sich selbst verstärkender Kreislauf. Es war die fatale Kombination aus Un­sicher­heit und Umverteilung – von unten nach oben und aus Defizitländern in Überschussländer –, die das System zum Einsturz brachte.

Anatomie der Krise

Deutsche Banken saßen vor der Finanzkrise auf einem riesigen Kapitalberg und waren für die gebündelten Hy­pothekarkred­ite aus den USA besonders empfänglich, als es dort bereits keine Abnehmer mehr für die Papiere gab. Das Misstrauen gegen diese Papiere begann sich zunächst schleichend auszubre­iten. Die Zinsen für kurzfristige Ausleihen im In­ter­bankengeschäft stiegen an, bald vertraute keine Bank mehr der anderen. Dann gerieten die so genannten Credit Default Swaps (CDS) in die Krise – das sind Wetten un­beteiligter Dritter darauf, ob ein Schuldner einen Kredit zurückzahlen wird oder nicht. Schließlich wurde es quasi unmöglich, überhaupt noch einen Kredit zu bekommen. Die Weltwirtschaft stand am Abgrund. Insgesamt gab es vier De­fla­tion­sspi­ralen, die in­einan­der­grif­fen und die Wirtschaft steil nach unten zogen: Erstens versuchten die Banken, von Panik getrieben, ausstehende Kredite so schnell wie möglich einzutreiben; neue Kredite wurden nur noch gegen große Sicher­heiten vergeben. Zweitens wollten Pri­vatan­leger, die Schulden hatten, diese so schnell wie möglich begleichen und verkauften deshalb so viele Wertpapiere, wie sie konnten. Die Kurse befanden sich im freien Fall. Aus Sicht des einzelnen Ver­brauch­ers war es drittens sinnvoll, zu sparen. Die Krux: Da alle es taten, brach die Nachfrage und mit ihr die Wirtschaft zusammen. Und viertens versuchten die Unternehmen panisch ihre Kosten zu reduzieren, indem sie Mitarbeiter entließen, In­vesti­tio­nen zurückschraubten und Lohn­verzicht forderten.

Keynes ist zurück

Sind die mil­liar­den­schw­eren Banken­ret­tungspakete, die im Herbst 2008 aufgelegt wurden, angesichts der him­melschreien­den Un­gerechtigkeit, dass die Verluste der Banker und Spekulanten vom Steuerzahler übernommen wurden, zu recht­fer­ti­gen? Ja, leider. Denn ohne sie wäre es noch viel schlimmer gekommen. Auch die deutsche Bun­desregierung erkannte – später als die meisten –, dass ein panischer Finanzmarkt sich nicht selbst heilen würde. Ret­tungss­chirme und Bankgarantien waren aber nur ein erster Schritt. Widerwillig griffen die Anbeter der gescheit­erten ne­olib­eralen Lehre auf die guten alten Rezepte des Key­ne­sian­is­mus zurück. Aus den USA stammt das Modell der drei T: „timeley, targeted and temporary“. Ein Kon­junk­tur­pro­gramm muss demnach rechtzeitig zu Beginn der Rezession aufgelegt werden, ziel­gerichtet auf schnelle Ausgaben hin angelegt und zeitlich beschränkt sein. Haushalte und Unternehmen dürfen nicht in Versuchung geraten, das Geld aufs Sparkonto zu legen und auf bessere Zeiten zu warten. Steuersenkun­gen sind folglich der falsche Weg. Die deutsche Abwrackprämie und mehr noch die Kurzarbeit­er­regelung waren hingegen ein voller Erfolg. Der erwartete Beschäftigungsrückgang blieb aus. Die geleisteten Ar­beitsstun­den gingen zwar zurück, das Einkommen der Menschen aber blieb stabil, und damit brach im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern der Konsum nicht ein.

Von einer Krise zur nächsten

Der Aufschwung gelang, doch die Probleme hörten nicht auf – nun ging es an die Staats­fi­nanzen. Neok­las­sis­che Ökonomen entwerfen oft ein Schulden­schreck­ensszenario, wenn sie behaupten, unsere Kinder und Enkel müssten irgendwann für unsere Schulden aufkommen. Das ist gelinde gesagt übertrieben. Staaten müssen Zinsen bezahlen und ihre Schulden re­fi­nanzieren. Sie werden sie aber nie komplett zurückerstatten, da sie, anders als Pri­vat­per­so­nen und Unternehmen, nicht sterben oder untergehen. Wenn während eines Abschwungs die Ver­schul­dung zunimmt, können zusätzliche Steuere­in­nah­men während des Aufschwungs genutzt werden, um Belastungen abzubauen. Prob­lema­tisch wird es dann, wenn diese Einnahmen zur Steuersenkung genutzt werden. Noch schwieriger ist es, wenn Staat­san­lei­hen vorwiegend im Ausland platziert werden, wenn die Gläubiger des Staates also nicht zugleich seine Steuerzahler sind. Dann führen höhere Schulden zu einem Wohl­stand­strans­fer vom In- ins Ausland, so geschehen im Vorfeld der Eurokrise.

„Mark­twirtschaft ist das produktive Chaos, das jederzeit ausflippen kann, um in einen Zustand knallbunter Euphorie oder tief­schwarzer Panik zu verfallen.“

Das Ret­tungspaket der Europäischen Union und des In­ter­na­tionalen Währungsfonds ermöglicht es den Krisenländern, günstigere Kredite aufzunehmen. Außerdem kauft die Europäische Zentralbank (EZB) Staat­san­lei­hen der betroffenen Länder auf, um die Kurse zu sta­bil­isieren. Diese Politik hat erfolgreich einen Flächenbrand vermieden. Doch die Ursachen für die Krise hat sie nicht beseitigt. Man hat schlicht zu lange übersehen, dass sich Leis­tungs­bi­lanzkrisen auch innerhalb einer Währungsunion entwickeln. Der ein­heitliche Leitzins führt dazu, dass in einigen Ländern Blasen entstehen, während in anderen die Wirtschaft stagniert.

Aufbruch in ein neues Zeitalter

Mit einem forschen „Weiter so“ würden wir sehenden Auges auf die nächste Krise zusteuern. Die geschwächten Volk­swirtschaften könnten einem Abwärtsstrudel nichts mehr ent­ge­genset­zen. Nur eine radikal erneuerte Wirtschaft­sor­d­nung mit folgenden Eckpfeilern kann das verhindern:

  • Umbau des Fi­nanzsek­tors: In­vest­ment­bank­ing, Pri­vate-Eq­uity- und Hedge­fonds-Ak­tivitäten werden strikt vom Bankgeschäft getrennt und Reg­ulierungslücken werden geschlossen. Banken vermitteln zwischen denen, die Kapital anbieten, und jenen, die es nachfragen – nicht mehr und nicht weniger. Die Eigenkap­i­talrücklage wird von derzeit 4 auf 8 % erhöht, ohne Anrechnung von langfristig verliehenem Geld. All das drückt die Rendite – und das ist gut so. Der Fi­nanzsek­tor muss sich gesund­schrumpfen.
  • Fi­nanz­transak­tion­ss­teuer: Eine Steuer von 0,05 % auf jede Fi­nanz­mark­t­transak­tion würde allein in Deutschland zwischen 17 und 37 Milliarden Euro einbringen. Damit könnte ein Teil der Krisen­schulden beglichen werden. Die Abgabe ist gerecht und effektiv: Es gibt keinen Grund, warum wir für ein Brot Mehrw­ert­s­teuer bezahlen und für den Kauf einer Aktie nicht. Außerdem würde die Steuer hochspeku­la­tive Vorgänge wie die Ausnutzung winziger Margen bei einer hohen Zahl von Transak­tio­nen einschränken.
  • Verteilungs­gerechtigkeit: Die Gesamtbevölkerung muss über wachsende Reallöhne an Wach­s­tum­ser­fol­gen teilhaben. Der Wohl­stand­skuchen hält dann nicht nur besser zusammen, sondern wird insgesamt größer. Wenn es dagegen profitabler ist, zu spekulieren als zu investieren, werden der Re­al­wirtschaft durch die hohen Renditen am Finanzmarkt leben­snotwendige Mittel entzogen.
  • Un­gle­ich­heit vermindern: Echte Leistung muss sich wieder lohnen und die soziale Mobilität muss erhöht werden. Das bedeutet höhere Steuern für Einkommen, die nicht unmittelbar mit Leistung zu tun haben, also für Erbschaften, Kapitalvermögen und Im­mo­bilienbe­sitz. Die Erträge daraus werden u. a. gezielt in die Bildung investiert, um allen eine Chance zum Aufstieg zu bieten. Eine weitere Maßnahme ist die Einführung von geset­zlichen Mindestlöhnen.
  • Europäische Wirtschaft­spoli­tik ko­or­dinieren: Stabiles Wachstum und Beschäftigung müssen neben der Preis­sta­bilität Teil des EZB-Mandats sein. Die Leis­tungs­bi­lanzun­ter­schiede zwischen den Euroländern sollen sinken: Transfers von Überschussländern in die Defizitländer, wie es sie auch im deutschen Länder­fi­nan­zaus­gle­ich gibt, wären wünschenswert, sind derzeit politisch aber nicht durchzuset­zen. Vorläufig sollte die EU-Kom­mis­sion die Leis­tungs­bi­lanzen überwachen und ggf. regulieren. Ist z. B. die In­fla­tion­srate in einem Land dauerhaft zu hoch, dürfen dort die Löhne nicht zu stark steigen. Umgekehrt müssen sie in Ländern mit De­fla­tion­s­ten­den­zen angehoben werden.

Über den Autor

Gustav A. Horn leitet das Institut für Makroökonomie und Kon­junk­tur­forschung (IMK) der Hans-Böck­ler-Stiftung. Zuvor war er beim Deutschen Institut für Wirtschafts­forschung (DIW) tätig.