Die Scheich-AG

Buch Die Scheich-AG

Wie unsere Unternehmen vom Wirtschaftswunder am Golf profitieren

Campus,


Rezension

Längst ist bekannt, dass sich westliche Unternehmen am Golf eine goldene Nase verdienen können – zumindest wenn sie es schaffen, ins Netzwerk der Scheichs und ihrer Günstlinge einzu­drin­gen. Der ehemalige Na­hostko­r­re­spon­dent Michael Backfisch beleuchtet neben dem schillern­den Emirat Dubai auch den Nachbarn Abu Dhabi, das Königreich Saudi-Ara­bien und die Gasgroßmacht Katar. Dabei wird deutlich, dass sich die Länder am Golf schon lange nicht mehr auf ihren reichen Öl- und Erdgasvorkom­men ausruhen, sondern ihre Wirtschaft di­ver­si­fizieren, mod­ernisieren, auf Hochtech­nolo­gie und inzwischen sogar grüne Technologie wie z. B. Fotovoltaik setzen. Backfisch schafft es in seinen vier Länderporträts, in­ter­es­sante Schlaglichter auf die Wirtschaft zu werfen, Chancen für deutsche Unternehmen aufzuzeigen und nebenbei viele kulturelle und soziale Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen zu liefern. Wer das Buch von vorn bis hinten durchliest, dem wird der lockere Re­portagestil gefallen. Einzig Lesern, die vor allem schnell praktische In­for­ma­tio­nen suchen, wird die Suche danach nicht gerade leicht gemacht. BooksInShort empfiehlt das Buch allen Geschäftsleuten, die sich ausführlich über die Golfregion informieren wollen.

Take-aways

  • Die Wirtschaft in den Golfstaaten boomt: Es wird kräftig in In­fra­struk­tur, Technologie und Bildung investiert.
  • Deutsche Produkte genießen am Golf einen guten Ruf.
  • Die arabischen Herrscher haben erkannt, dass sie für die Zeit nach dem Ölzeitalter vorsorgen müssen.
  • Die wichtigsten Zukun­fts­branchen sind So­lartech­nik, Alu­mini­umver­ar­beitung, Petrochemie.
  • Wer im Nahen Osten Geschäfte machen will, braucht lokale Kontakte oder Sponsoren.
  • Das Emirat Abu Dhabi will sein Brut­toin­land­spro­dukt bis 2030 vervier­fachen und setzt vor allem auf Com­put­er­chips, Flugzeugteile und En­ergi­etech­nik.
  • Dubai ist für seine Superlative berühmt: das richtige Pflaster für spekulative In­vesti­tio­nen.
  • Saudi-Ara­bien braucht Arbeitsplätze für die schnell wachsende Bevölkerung.
  • Der saudische Herrscher Abdullah fährt einen behutsamen Mod­ernisierungskurs.
  • Katar ist klein, verfügt aber über die drittgrößten Erdgas­re­ser­ven der Welt.
 

Zusammenfassung

Auf Wach­s­tum­skurs am Golf

Im März 2009 kaufte eine staatliche In­vest­ment­ge­sellschaft aus dem Emirat Abu Dhabi rund 9 % von Daimler. Die Scheichs mögen Hochtech­nolo­gie, verlässlichen Profit und natürlich das Image der renom­mierten Marke. Aber das ist keine Einbahnstraße: Immer mehr deutsche Unternehmen zieht es umgekehrt auch in den Nahen Osten, denn dort locken profitable Geschäfte und sehr gute In­vesti­tionsmöglichkeiten. Im Jahr 2010 haben die Exporte auf die arabische Halbinsel ein Volumen von 15 Milliarden Euro erreicht. Die Staaten der arabischen Halbinsel sind für Deutschland inzwischen der vier­twichtig­ste Überseemarkt nach den USA, Russland und China. Die Wirtschaft brummt, das In­vesti­tionsvol­u­men in In­fra­struk­tur, Technologie, aber auch in die Bildung ist hoch. Für deutsche Unternehmen ist der Nahe Osten eine echte Goldgrube, zumal Produkte made in Germany einen außeror­dentlich guten Ruf besitzen.

„Alles spricht dafür, dass deutsche Unternehmen in den kommenden Jahren noch mehr Geschäfte im Nahen Osten machen.“

Anders als etwa England oder Frankreich besaß Deutschland nie Kolonien in dieser Region, sodass die Scheichs ohne politische Vorbehalte mit deutschen Unternehmen ins Geschäft kommen. Und es sind nicht nur Unternehmen wie Daimler, Bayer oder ThyssenK­rupp, die sich eine Scheibe vom arabischen Kuchen abschneiden. Auch KMUs profitieren vom Boom am Golf, beispiel­sweise der Mittelständler Simonswerk, der für den Bau des höchsten Gebäudes der Welt in Dubai die Scharniere lieferte. Trotz ihrer Nach­barschaft zu zwei der größten Krisen­na­tio­nen dieser Welt – im Iran schwelt immer noch der Atomstreit und im Jemen verstecken sich viele weltweit gesuchte Terroristen – erfreuen sich die Golfstaaten einer relativ hohen in­nen­poli­tis­chen Stabilität. Das begünstigt den Handel.

Mark­tchan­cen und In­vesti­tion­sstrate­gien

Die arabischen Herrscher sind überaus ehrgeizig: Sie wollen ihre Länder ins 21. Jahrhundert kat­a­pul­tieren und aus ehemals ver­schlafe­nen Beduinen­sied­lun­gen Metropolen machen, die es mit Singapur oder Hongkong aufnehmen können. Um dieses Ziel zu erreichen, fahren die Machthaber eine zwei­gleisige Strategie: Einerseits werden die Gewinne aus dem Öl- und Gasgeschäft in den Aufbau der In­fra­struk­tur investiert, an­der­er­seits fließen Gelder in völlig neue In­dus­triezweige, die sich über kurz oder lang vom Ölgeschäft emanzip­ieren sollen. Im Zentrum der Industrie in den Golfstaaten stehen So­lartech­nik, Com­put­er­chips, Aluminium und petro­chemis­che Erzeugnisse. Fast 20 % ihrer Ölproduktion konsumieren die Staaten der arabischen Halbinsel selbst. Bei einer stetig wachsenden Bevölkerung ist absehbar, dass es auch hier früher oder später zu Energieengpässen kommen wird, wenn das Ölzeitalter zu Ende geht. Als alternative En­ergiequellen kommen vor allem Sonne und Wind infrage: Im Nahen Osten und in Nordafrika schlummern rund 45 % des weltweiten Potenzials für re­gen­er­a­tive Energien. Wenn angesichts dieser Aussichten ein deutsches Unternehmen auf schnelle Geschäfte spekuliert, sollte es allerdings gewarnt sein: In der arabischen Welt gehen die Uhren anders als in vielen westlichen Ländern. Geschäfts­beziehun­gen brauchen Zeit. Faustregel: Wer es sich leisten kann, ein Jahr ohne Umsatz zu überleben, kann den Schritt in die Wüste wagen. Allerdings wird er nicht darum herumkommen, in ein Netzwerk zu investieren oder einen arabischen Partner als Sponsor zu gewinnen.

Abu Dhabi: konservativ und fortschrit­tlich zugleich

Im Vergleich zum schillern­den Dubai wirkt das Emirat Abu Dhabi erheblich kon­ser­v­a­tiver. Das liegt vor allem daran, dass Abu Dhabi kaum Superlative zu bieten hat. Außerdem steuert das Emirat einen langsameren En­twick­lungskurs – der aber sehr gut geplant ist. Bis 2030 soll das Brut­toin­land­spro­dukt vervier­facht werden. Dafür müssen Jobs in un­ter­schiedlichen Branchen geschaffen werden, um auch jüngeren Ar­beit­nehmern Karrieremöglichkeiten zu bieten. Über die Hälfte der Einwohner des Emirats ist unter 20 Jahre alt. Zu den Schlüssel­branchen in Abu Dhabi gehören:

  • Halbleiter: Im Jahr 2007 erwarb die staatliche In­vest­ment­ge­sellschaft Mubadala Anteile des amerikanis­chen Hal­bleit­er­her­stellers AMD. Ein Jahr später wurde mit ATIC eine eigene Gesellschaft für In­vesti­tio­nen in Mikroelek­tronik gegründet. Mit Beteili­gun­gen in der ganzen Welt, etwa in Dresden und Singapur, fährt die Gesellschaft einen ehrgeizigen Ex­pan­sion­skurs und möchte mit dem eigenen Mi­crochipher­steller Glob­al­foundries in den nächsten fünf Jahren den Umsatz jährlich um 10–15 % steigern.
  • Flugzeugteile: In Al Ain produziert das Unternehmen Strata 160 Kilometer von der Hauptstadt Abu Dhabi entfernt Flugzeugteile, u. a. für Airbus. Durch einen clever eingefädelten Know-how-Trans­fer konnte Strata Tech­nolo­giepart­ner­schaften u. a. mit EADS, Airbus, Boeing und FACC schließen. Auch im Bereich Flugzeug­wartung will das Unternehmen zukünftig zu den Top-Playern weltweit aufsteigen.
  • En­ergi­etech­nik: 30 Kilometer vor den Toren der Hauptstadt soll bis 2025 die erste CO2-neu­trale Stadt der Welt entstehen: Masdar City. In den Straßen sollen Elek­troau­tos fahren, für den Bau der Gebäude kommt High­tech­baustoff zum Einsatz, um die En­ergiekosten für die Kühlung der Räume minimal zu halten. Die Energie zur Versorgung der Stadt kommt hauptsächlich von 87 000 So­lar­mod­ulen, die auf einer Fläche von 212 000 m2 Sonnenkraft in Strom umwandeln. Auch Privatleute erhalten eine Prämie, wenn sie Solarzellen auf ihren Dächern montieren, ähnlich der deutschen Ein­spei­sev­ergütung.

Dubai: höher, schneller, weiter

In Dubai wohnen rund 1,7 Millionen Menschen aus 200 Ländern – und nur etwa ein Zehntel davon sind echte Dubaier. Das Emirat ist der Prototyp des modernen Arabiens: Hier wird Glob­al­isierung gelebt, in­ter­na­tionaler Jetset und islamischer Tra­di­tion­al­is­mus koex­istieren friedlich. Nur in Dubai liegen Frauen mit Kopftuch und dem Abaya genannten schwarzen Gewand neben Engländerinnen in knappen Bikinis am Strand. Hier steht das Burj Khalifa, mit 828 Metern das höchste Gebäude der Welt. Der einstige Bauboom hat sich indes abgeschwächt: Die Im­mo­bilienkrise ist auch an Dubai nicht spurlos vor­beige­gan­gen. Herrscher Scheich Mohammed konzen­tri­ert sich derzeit auf die Entwicklung seines Emirats als Han­dels­stan­dort. Dazu gehört beispiel­sweise der Ausbau des Flughafens und des Seehafens Jebel Ali. Hinzu kommen ehrgeizige Projekte wie der größte Flughafen der Welt.

„Alte Hasen wissen, dass der goldene Deal in Nahost keine Hau­ruck­ak­tion, sondern ein mit vielen ver­trauensvollen Begegnungen gepflasterter Weg ist.“

Dubai hat mit seinen Frei­han­del­szo­nen wahre Geld­mag­neten entwickelt; hier können westliche Unternehmen so investieren, wie es in den Nachbarländern Iran, Irak, Indien und Pakistan niemals möglich wäre. Die Expatriates der in­ter­na­tionalen Unternehmen dürfen relativ entspannt ihrem gewohnten Lebensstil frönen, denn die Herrscher in Dubai sind außeror­dentlich tolerant. Die Folge: Sollen Mitarbeiter nach Dubai ziehen, tun sie das bere­itwilliger als beispiel­sweise nach Saudi-Ara­bien. Als Reisedes­ti­na­tion ist Dubai weiterhin beliebt, auch wenn die Bet­tenka­pazitäten nach der Finanzkrise nicht so rasch stiegen wie von den Touris­mu­s­ex­perten prophezeit. Derzeit sind in den Vereinigten Arabischen Emiraten rund 55 000 neue Hotelzimmer geplant – 32 000 davon in Dubai. Mit Emirates Airlines hat Dubai noch ein Ass im Ärmel: Die Fluglinie ist weiterhin auf Ex­pan­sion­skurs und konnte sogar im schlimmsten Krisenjahr 2009 noch Profite einfliegen.

Saudi-Ara­bien: Flirt mit der Moderne

Die größte Volk­swirtschaft auf der arabischen Halbinsel wird 2011 ein geschätztes Wirtschaftswach­s­tum von 3,7 % erreichen. Kein anderes Land kann in so kurzer Zeit so viel Öl liefern wie Saudi-Ara­bien. Doch auch hier haben die Herrscher erkannt, dass für die Zeit nach dem Ölboom vorgesorgt werden muss. Bis 2013 fließen rund 400 Milliarden Dollar in neue Straßen, Flug- und Seehäfen – unter tatkräftiger Mithilfe von EADS, ThyssenK­rupp, Linde und vielen mittelständischen Unternehmen aus Deutschland und Europa. Ein Problem ist der de­mografis­che Wandel – auch wenn er gerade umgekehrt verläuft wie in vielen westlichen Staaten. Zwei Drittel der Saudis sind jünger als 25 Jahre. Der Bedarf an neuen Wohnungen und Arbeitsplätzen steigt und der En­ergieausstoß wird sich in den kommenden zehn Jahren auf rund 70 Gigawatt pro Jahr verdoppeln. Die Themen ökologisches Bauen und So­lartech­nik sind deshalb auch für die Saudis attraktiv geworden.

„Abu Dhabi sitzt auf einem Sack voller Petrodollar, die Nachbarn in Dubai sind hingegen stolz auf ihren weltweiten Bekan­ntheits­grad.“

Seit 2007 gibt es ein Programm zur Entwicklung nationaler In­dus­trieclus­ter, das sich vor allem damit beschäftigt, die saudische Wirtschaft auf eine breite Basis zu stellen. Typische Cluster in Saudi-Ara­bien, die auch viel Raum für den Einstieg ausländischer Hersteller bieten, sind:

  • die Veredelung und Ve­r­ar­beitung von Metallen, allen voran Aluminium,
  • die ein­heimis­che Au­to­mo­bil­pro­duk­tion inkl. Herstellung von Mo­torenteilen und Autoreifen,
  • Haushalts­geräte, vor allem Kli­maan­la­gen,
  • So­laren­ergie, von der Fotovoltaik bis hin zur thermischen Solaranlage,
  • Plastik, darunter auch Spezialkun­st­stoffe und Ver­pack­un­gen.
„Im Nahen Osten sind die erneuer­baren Energien zu einem Zauberwort avanciert.“

Eine wirtschaftliche Öffnung nach Westen ist in einem Land wie Saudi-Ara­bien, wo eine besonders strenge Richtung des Islam das tägliche Leben bestimmt, schwierig. Um seine Landsleute nicht vor den Kopf zu stoßen und trotzdem einen Schritt in die Moderne zu wagen, hat König Abdullah die Errichtung von vier Wirtschaftsstädten geplant, die als Ex­per­i­men­tier­felder für modernste Technik ein zwangloses Zusam­men­leben von Saudis und ausländischen Expatriates ermöglichen sollen.

Katar: Die Erdgasmacht am Golf

Die Halbinsel Katar ist nur halb so groß wie Hessen, besitzt aber die drittgrößten Erdgas­re­ser­ven der Welt. Scheich Hamad bin Khalifa Al Thani sucht den diplo­ma­tis­chen Ausgleich zwischen den vielen ver­fein­de­ten Grup­pierun­gen in der Region. Politische Stabilität bedeutet ökonomische Prosperität, so sein Kalkül. Das Land hat bereits zweimal in den vergangenen hundert Jahren lernen müssen, dass die Konzen­tra­tion auf nur einen Wirtschaft­szweig gefährlich sein kann. Der aus der Per­len­fis­cherei generierte Reichtum wurde in den 1930er Jahren von der Zucht­per­lenin­dus­trie Japans zerstört. Die Erdölfunde im Jahr 1938 bescherten dem Land erneut Wohlstand, aber nur so lange, wie die Preise stabil blieben. Mit der In­vest­ment­ge­sellschaft Quatar Investment Authority (QIA) versucht der Scheich seit 2005, lukrative Beteili­gun­gen in der ganzen Welt zu erwerben, erfolgreich u. a. bei Volkswagen und Hochtief. Bau­un­ternehmen profitieren von der Vergabe der Fußball­welt­meis­ter­schaft 2022 an Katar: Die erste WM in einem arabischen Land macht die Katarer stolz und aus dem Staat ein Vorzeige­land in der arabischen Welt.

„Die Scheichs haben erkannt, dass Öl und Gas keine Geld­druck­maschi­nen für die Ewigkeit sind.“

Die Deutsche Bahn freut sich darüber, dass sie im Rahmen eines Joint Ventures ein Schienen­netz mit einem In­vesti­tionsvol­u­men von 17 Milliarden Euro planen und anlegen darf. High­tech­fir­men lockt der Quatar Science & Technology Park am Stadtrand der Hauptstadt Doha: Hier kann geforscht und in den Ablegern von sechs amerikanis­chen Eliteunis auch gelernt werden. In der so genannten Education City sollen junge Katarer die gleiche Bildung erhalten, für die sie früher in die USA reisen mussten. Für Scheich Hamad spielt Bildung eine große Rolle, er will qual­i­fizierte Ar­beit­nehmer für anspruchsvolle Jobs finden. Auch Ausländer dürfen hier studieren und müssen das Bil­dungs­dar­lehen für die jährlich 40 000 $ teuren Studiengebühr nicht zurückzahlen, wenn sie im Land arbeiten.

Über den Autor

Michael Backfisch war von 2008 bis 2010 Na­hostko­r­re­spon­dent für das Han­dels­blatt in Dubai. Von 2006 bis 2008 war er Vize-Chefredak­teur des Han­dels­blatts; zuvor leitete er fünf Jahre lang das Wash­ing­toner Büro der Zeitung.