Auf Wachstumskurs am Golf
Im März 2009 kaufte eine staatliche Investmentgesellschaft aus dem Emirat Abu Dhabi rund 9 % von Daimler. Die Scheichs mögen Hochtechnologie, verlässlichen Profit und natürlich das Image der renommierten Marke. Aber das ist keine Einbahnstraße: Immer mehr deutsche Unternehmen zieht es umgekehrt auch in den Nahen Osten, denn dort locken profitable Geschäfte und sehr gute Investitionsmöglichkeiten. Im Jahr 2010 haben die Exporte auf die arabische Halbinsel ein Volumen von 15 Milliarden Euro erreicht. Die Staaten der arabischen Halbinsel sind für Deutschland inzwischen der viertwichtigste Überseemarkt nach den USA, Russland und China. Die Wirtschaft brummt, das Investitionsvolumen in Infrastruktur, Technologie, aber auch in die Bildung ist hoch. Für deutsche Unternehmen ist der Nahe Osten eine echte Goldgrube, zumal Produkte made in Germany einen außerordentlich guten Ruf besitzen.
„Alles spricht dafür, dass deutsche Unternehmen in den kommenden Jahren noch mehr Geschäfte im Nahen Osten machen.“
Anders als etwa England oder Frankreich besaß Deutschland nie Kolonien in dieser Region, sodass die Scheichs ohne politische Vorbehalte mit deutschen Unternehmen ins Geschäft kommen. Und es sind nicht nur Unternehmen wie Daimler, Bayer oder ThyssenKrupp, die sich eine Scheibe vom arabischen Kuchen abschneiden. Auch KMUs profitieren vom Boom am Golf, beispielsweise der Mittelständler Simonswerk, der für den Bau des höchsten Gebäudes der Welt in Dubai die Scharniere lieferte. Trotz ihrer Nachbarschaft zu zwei der größten Krisennationen dieser Welt – im Iran schwelt immer noch der Atomstreit und im Jemen verstecken sich viele weltweit gesuchte Terroristen – erfreuen sich die Golfstaaten einer relativ hohen innenpolitischen Stabilität. Das begünstigt den Handel.
Marktchancen und Investitionsstrategien
Die arabischen Herrscher sind überaus ehrgeizig: Sie wollen ihre Länder ins 21. Jahrhundert katapultieren und aus ehemals verschlafenen Beduinensiedlungen Metropolen machen, die es mit Singapur oder Hongkong aufnehmen können. Um dieses Ziel zu erreichen, fahren die Machthaber eine zweigleisige Strategie: Einerseits werden die Gewinne aus dem Öl- und Gasgeschäft in den Aufbau der Infrastruktur investiert, andererseits fließen Gelder in völlig neue Industriezweige, die sich über kurz oder lang vom Ölgeschäft emanzipieren sollen. Im Zentrum der Industrie in den Golfstaaten stehen Solartechnik, Computerchips, Aluminium und petrochemische Erzeugnisse. Fast 20 % ihrer Ölproduktion konsumieren die Staaten der arabischen Halbinsel selbst. Bei einer stetig wachsenden Bevölkerung ist absehbar, dass es auch hier früher oder später zu Energieengpässen kommen wird, wenn das Ölzeitalter zu Ende geht. Als alternative Energiequellen kommen vor allem Sonne und Wind infrage: Im Nahen Osten und in Nordafrika schlummern rund 45 % des weltweiten Potenzials für regenerative Energien. Wenn angesichts dieser Aussichten ein deutsches Unternehmen auf schnelle Geschäfte spekuliert, sollte es allerdings gewarnt sein: In der arabischen Welt gehen die Uhren anders als in vielen westlichen Ländern. Geschäftsbeziehungen brauchen Zeit. Faustregel: Wer es sich leisten kann, ein Jahr ohne Umsatz zu überleben, kann den Schritt in die Wüste wagen. Allerdings wird er nicht darum herumkommen, in ein Netzwerk zu investieren oder einen arabischen Partner als Sponsor zu gewinnen.
Abu Dhabi: konservativ und fortschrittlich zugleich
Im Vergleich zum schillernden Dubai wirkt das Emirat Abu Dhabi erheblich konservativer. Das liegt vor allem daran, dass Abu Dhabi kaum Superlative zu bieten hat. Außerdem steuert das Emirat einen langsameren Entwicklungskurs – der aber sehr gut geplant ist. Bis 2030 soll das Bruttoinlandsprodukt vervierfacht werden. Dafür müssen Jobs in unterschiedlichen Branchen geschaffen werden, um auch jüngeren Arbeitnehmern Karrieremöglichkeiten zu bieten. Über die Hälfte der Einwohner des Emirats ist unter 20 Jahre alt. Zu den Schlüsselbranchen in Abu Dhabi gehören:
- Halbleiter: Im Jahr 2007 erwarb die staatliche Investmentgesellschaft Mubadala Anteile des amerikanischen Halbleiterherstellers AMD. Ein Jahr später wurde mit ATIC eine eigene Gesellschaft für Investitionen in Mikroelektronik gegründet. Mit Beteiligungen in der ganzen Welt, etwa in Dresden und Singapur, fährt die Gesellschaft einen ehrgeizigen Expansionskurs und möchte mit dem eigenen Microchiphersteller Globalfoundries in den nächsten fünf Jahren den Umsatz jährlich um 10–15 % steigern.
- Flugzeugteile: In Al Ain produziert das Unternehmen Strata 160 Kilometer von der Hauptstadt Abu Dhabi entfernt Flugzeugteile, u. a. für Airbus. Durch einen clever eingefädelten Know-how-Transfer konnte Strata Technologiepartnerschaften u. a. mit EADS, Airbus, Boeing und FACC schließen. Auch im Bereich Flugzeugwartung will das Unternehmen zukünftig zu den Top-Playern weltweit aufsteigen.
- Energietechnik: 30 Kilometer vor den Toren der Hauptstadt soll bis 2025 die erste CO2-neutrale Stadt der Welt entstehen: Masdar City. In den Straßen sollen Elektroautos fahren, für den Bau der Gebäude kommt Hightechbaustoff zum Einsatz, um die Energiekosten für die Kühlung der Räume minimal zu halten. Die Energie zur Versorgung der Stadt kommt hauptsächlich von 87 000 Solarmodulen, die auf einer Fläche von 212 000 m2 Sonnenkraft in Strom umwandeln. Auch Privatleute erhalten eine Prämie, wenn sie Solarzellen auf ihren Dächern montieren, ähnlich der deutschen Einspeisevergütung.
Dubai: höher, schneller, weiter
In Dubai wohnen rund 1,7 Millionen Menschen aus 200 Ländern – und nur etwa ein Zehntel davon sind echte Dubaier. Das Emirat ist der Prototyp des modernen Arabiens: Hier wird Globalisierung gelebt, internationaler Jetset und islamischer Traditionalismus koexistieren friedlich. Nur in Dubai liegen Frauen mit Kopftuch und dem Abaya genannten schwarzen Gewand neben Engländerinnen in knappen Bikinis am Strand. Hier steht das Burj Khalifa, mit 828 Metern das höchste Gebäude der Welt. Der einstige Bauboom hat sich indes abgeschwächt: Die Immobilienkrise ist auch an Dubai nicht spurlos vorbeigegangen. Herrscher Scheich Mohammed konzentriert sich derzeit auf die Entwicklung seines Emirats als Handelsstandort. Dazu gehört beispielsweise der Ausbau des Flughafens und des Seehafens Jebel Ali. Hinzu kommen ehrgeizige Projekte wie der größte Flughafen der Welt.
„Alte Hasen wissen, dass der goldene Deal in Nahost keine Hauruckaktion, sondern ein mit vielen vertrauensvollen Begegnungen gepflasterter Weg ist.“
Dubai hat mit seinen Freihandelszonen wahre Geldmagneten entwickelt; hier können westliche Unternehmen so investieren, wie es in den Nachbarländern Iran, Irak, Indien und Pakistan niemals möglich wäre. Die Expatriates der internationalen Unternehmen dürfen relativ entspannt ihrem gewohnten Lebensstil frönen, denn die Herrscher in Dubai sind außerordentlich tolerant. Die Folge: Sollen Mitarbeiter nach Dubai ziehen, tun sie das bereitwilliger als beispielsweise nach Saudi-Arabien. Als Reisedestination ist Dubai weiterhin beliebt, auch wenn die Bettenkapazitäten nach der Finanzkrise nicht so rasch stiegen wie von den Tourismusexperten prophezeit. Derzeit sind in den Vereinigten Arabischen Emiraten rund 55 000 neue Hotelzimmer geplant – 32 000 davon in Dubai. Mit Emirates Airlines hat Dubai noch ein Ass im Ärmel: Die Fluglinie ist weiterhin auf Expansionskurs und konnte sogar im schlimmsten Krisenjahr 2009 noch Profite einfliegen.
Saudi-Arabien: Flirt mit der Moderne
Die größte Volkswirtschaft auf der arabischen Halbinsel wird 2011 ein geschätztes Wirtschaftswachstum von 3,7 % erreichen. Kein anderes Land kann in so kurzer Zeit so viel Öl liefern wie Saudi-Arabien. Doch auch hier haben die Herrscher erkannt, dass für die Zeit nach dem Ölboom vorgesorgt werden muss. Bis 2013 fließen rund 400 Milliarden Dollar in neue Straßen, Flug- und Seehäfen – unter tatkräftiger Mithilfe von EADS, ThyssenKrupp, Linde und vielen mittelständischen Unternehmen aus Deutschland und Europa. Ein Problem ist der demografische Wandel – auch wenn er gerade umgekehrt verläuft wie in vielen westlichen Staaten. Zwei Drittel der Saudis sind jünger als 25 Jahre. Der Bedarf an neuen Wohnungen und Arbeitsplätzen steigt und der Energieausstoß wird sich in den kommenden zehn Jahren auf rund 70 Gigawatt pro Jahr verdoppeln. Die Themen ökologisches Bauen und Solartechnik sind deshalb auch für die Saudis attraktiv geworden.
„Abu Dhabi sitzt auf einem Sack voller Petrodollar, die Nachbarn in Dubai sind hingegen stolz auf ihren weltweiten Bekanntheitsgrad.“
Seit 2007 gibt es ein Programm zur Entwicklung nationaler Industriecluster, das sich vor allem damit beschäftigt, die saudische Wirtschaft auf eine breite Basis zu stellen. Typische Cluster in Saudi-Arabien, die auch viel Raum für den Einstieg ausländischer Hersteller bieten, sind:
- die Veredelung und Verarbeitung von Metallen, allen voran Aluminium,
- die einheimische Automobilproduktion inkl. Herstellung von Motorenteilen und Autoreifen,
- Haushaltsgeräte, vor allem Klimaanlagen,
- Solarenergie, von der Fotovoltaik bis hin zur thermischen Solaranlage,
- Plastik, darunter auch Spezialkunststoffe und Verpackungen.
„Im Nahen Osten sind die erneuerbaren Energien zu einem Zauberwort avanciert.“
Eine wirtschaftliche Öffnung nach Westen ist in einem Land wie Saudi-Arabien, wo eine besonders strenge Richtung des Islam das tägliche Leben bestimmt, schwierig. Um seine Landsleute nicht vor den Kopf zu stoßen und trotzdem einen Schritt in die Moderne zu wagen, hat König Abdullah die Errichtung von vier Wirtschaftsstädten geplant, die als Experimentierfelder für modernste Technik ein zwangloses Zusammenleben von Saudis und ausländischen Expatriates ermöglichen sollen.
Katar: Die Erdgasmacht am Golf
Die Halbinsel Katar ist nur halb so groß wie Hessen, besitzt aber die drittgrößten Erdgasreserven der Welt. Scheich Hamad bin Khalifa Al Thani sucht den diplomatischen Ausgleich zwischen den vielen verfeindeten Gruppierungen in der Region. Politische Stabilität bedeutet ökonomische Prosperität, so sein Kalkül. Das Land hat bereits zweimal in den vergangenen hundert Jahren lernen müssen, dass die Konzentration auf nur einen Wirtschaftszweig gefährlich sein kann. Der aus der Perlenfischerei generierte Reichtum wurde in den 1930er Jahren von der Zuchtperlenindustrie Japans zerstört. Die Erdölfunde im Jahr 1938 bescherten dem Land erneut Wohlstand, aber nur so lange, wie die Preise stabil blieben. Mit der Investmentgesellschaft Quatar Investment Authority (QIA) versucht der Scheich seit 2005, lukrative Beteiligungen in der ganzen Welt zu erwerben, erfolgreich u. a. bei Volkswagen und Hochtief. Bauunternehmen profitieren von der Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2022 an Katar: Die erste WM in einem arabischen Land macht die Katarer stolz und aus dem Staat ein Vorzeigeland in der arabischen Welt.
„Die Scheichs haben erkannt, dass Öl und Gas keine Gelddruckmaschinen für die Ewigkeit sind.“
Die Deutsche Bahn freut sich darüber, dass sie im Rahmen eines Joint Ventures ein Schienennetz mit einem Investitionsvolumen von 17 Milliarden Euro planen und anlegen darf. Hightechfirmen lockt der Quatar Science & Technology Park am Stadtrand der Hauptstadt Doha: Hier kann geforscht und in den Ablegern von sechs amerikanischen Eliteunis auch gelernt werden. In der so genannten Education City sollen junge Katarer die gleiche Bildung erhalten, für die sie früher in die USA reisen mussten. Für Scheich Hamad spielt Bildung eine große Rolle, er will qualifizierte Arbeitnehmer für anspruchsvolle Jobs finden. Auch Ausländer dürfen hier studieren und müssen das Bildungsdarlehen für die jährlich 40 000 $ teuren Studiengebühr nicht zurückzahlen, wenn sie im Land arbeiten.