Brand Sense
Der Werbedruck nimmt immer mehr zu, die Zahl der Marken auch. Und die Aufmerksamkeit der Konsumenten nimmt zwangsläufig immer mehr ab. Während sich Konsumenten 1965 an 34 % der TV-Reklame erinnerten, waren es 1990 nur noch 14,5 %. Wer soll da noch durchdringen? Ein Grund zur Resignation ist das trotzdem nicht, denn auch heute schaffen es Marken, sich durch unverwechselbare Eigenschaften im Gedächtnis der Zielgruppe festzukrallen. Untersucht wurden sie im Rahmen von „Brand Sense“ – einer Studie, an der seit 1999 mehr als 600 Wissenschaftler weltweit teilhaben.
„Wir leben in einer Welt, in der die Konsumenten etwas brauchen, an das sie glauben können.“
Was haben Kellogg’s Cornflakes und Coca-Cola gemeinsam? Eine starke Marke – und zwar deshalb, weil man sie nicht nur sehen, sondern auch schmecken, riechen, fühlen und sogar hören kann. Denken Sie z. B. an das Knuspern beim Kauen der frischen Frühstücksflocken – Kellogg’s hat viel Energie in die Erzeugung dieses speziellen Geräuschs gesteckt. Ähnlich ist es bei Coca-Cola: Bereits die Flasche ist einzigartig – sie wurde tatsächlich mit der Absicht gestaltet, etwas Unverwechselbares in Händen zu halten. Eine Coca-Cola-Flasche erkennt man im Dunkeln durch Berühren; selbst ihren Scherben ist die einzigartige Form noch anzusehen. Welche Marke kann das von sich behaupten? Den Entwicklern dieser Topmarken ist es gelungen, auf mehreren verschiedenen Sinnesebenen bleibende Eindrücke zu hinterlassen. Damit erklärt sich auch, warum viele gute Produkte trotz aufwändiger Werbung erfolglos bleiben: Ihre Väter konzentrieren sich beim Marketing auf das Sehen und Hören, nicht aber aufs Riechen, Schmecken und Fühlen.
Marketing über die fünf Sinne
Viele Marketingkampagnen setzen heutzutage allein auf Äußerlichkeit: Sehen ist alles, allenfalls wird noch das Hören durch charakteristische Tonfolgen angesprochen. Die Werber tun so, als wäre die Verpackung wichtiger als der Inhalt. Doch das ist niemals der Fall – ein Produkt ohne einzigartige Eigenschaften, die sich sinnlich erleben lassen, ist öde und seelenlos, und auch eine grandiose Kampagne wird ihm kein künstliches Leben einhauchen.
„Wie wir es auch drehen und wenden, im Alltag des Verbrauchers bleibt die Werbung ein kurzes Aufblitzen, das er sofort wieder vergisst.“
Fünf Sinne hat der Mensch – spricht ein Produkt zwei davon an, hebt es sich schon aus der Masse heraus, doch erst die Kombination aller fünf schafft echte Präsenz. Die Einprägsamkeit potenziert sich mit jedem weiteren Sinn, der angesprochen wird. Insbesondere Greifbarkeit prägt sich dem menschlichen Gehirn auf magische Weise ein. Das beweist eine Studie: Reale Briefsendungen sind greifbarer; deshalb werden sie besser wahrgenommen und sind überdies noch leichter zu verarbeiten, weil sie stärkere Gefühle auslösen als Werbe-E-Mails. Darum gilt: Wer schreibt, der bleibt – und bitte nicht elektronisch, denn im Zeitalter sinkender Aufmerksamkeit muss man sich um fast jeden Preis herausheben.
„Wenn aber in der Werbung flächendeckend dieselben Töne, Kommentare und Musikstücke verwendet werden, wo bleibt dann die Markenbotschaft? Beim Teufel.“
Ist eine Marke bereits populär und hat sie gar das Zeug zum Kultobjekt, scharen sich Jünger um sie. Apple ist das beste Beispiel: Obwohl normale PCs oder Laptops qualitativ kaum weniger können, halten die Fans dem überteuerten Apple-Design unerschütterlich die Treue. Ein Stamm von Jüngern ist natürlich ein weiteres sinnliches Marken-Charakteristikum, das ausdauernd und noch dazu kostenlos Werbung macht.
Es gibt nicht ein Gedächtnis, sondern fünf
Wieso sind Marken, die die fünf Sinne ansprechen, so unwiderstehlich? Das menschliche Gehirn legt Erinnerungen sortiert nach Sinnesorganen ab – somit gibt es nicht einen Speicher, sondern fünf. In diesen legen wir zudem weit mehr Erinnerungen ab, als uns bewusst ist. Das Kernproblem von Werbekampagnen ist quadratisch und steht in jedem Haus: das TV-Gerät. Indem sich alle Marketingmanager darauf stürzen, steigen die Preise für Werbeblöcke in astronomische Höhen, zugleich überschwemmt immer mehr TV-Reklame das Bewusstsein des Kunden – der dazu noch weniger Zeit als früher vor Radio und Glotze verbringt. In dieser Werbeflut gehen Sie unter, Sie können noch so originell sein. Gehen Sie lieber unbekannte und neue Wege.
„Ob es Ihnen gefällt oder nicht, unsere Sinne sind darauf konzipiert, uns zu verführen. Dennoch tun viele Markenmanager so, als sei sensorische Stimulation von gestern.“
Rein visuelle Werbung ist steril. Mit dem Einkaufserlebnis im Supermarkt, wo wir Ware befühlen, daran schnüffeln, sie vielleicht sogar ausprobieren, hat ein Flimmer-Filmchen nichts gemein. Appellieren Sie also an alle fünf Sinne – befreien Sie durch Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen von quälender Langeweile. Beispiel Mitsubishi: In den USA schaltete der japanische Autohersteller in Tageszeitungen ganzseitige Anzeigen für den Lancer Evo X, die mit einem speziell entwickelten Wohlgeruch präpariert waren – der Wagen soll innerhalb kürzester Zeit ausverkauft gewesen sein.
„Ebenso wie in Glaubensdingen gilt auch für Unternehmen, dass sich Loyalität nicht messen, prognostizieren oder kaufen lässt.“
Düfte sind ein riesiges Einfallstor in unsere Erinnerung; noch nach Jahrzehnten wühlt uns ein vertrauter Geruch auf, bringt Vergessenes ins Bewusstsein. Warum? Unser Geruchssinn ist um ein Vielfaches sensibler als der Geschmackssinn. Viele machen sich das inzwischen zunutze: Um Bademode wird Kokosduft versprüht, Autohersteller kreieren Neuwagendüfte, Supermärkte platzieren die Bäckerei stets so, dass die Ventilatoren den frischen Backstubengeruch in den Eingangsbereich pusten, Nivea inszenierte einen Kinospot mit Strandurlaub und ließ dazu Sonnenölduft in den Zuschauerraum fluten. Umgekehrt funktioniert das auch: Ein Reiniger roch so stechend chemisch, dass er mit Rosenduft parfümiert wurde – prompt fiel der Absatz um 27 %, weil die Kunden nun an der Reinigungskraft zweifelten.
Die Sinne sind miteinander vernetzt
Das Schöne am sensorischen Branding: eins plus eins plus eins plus eins plus eins macht nicht fünf, sondern viel mehr – denn die fünf Sinnesorgane sind miteinander vernetzt, sodass sich die Wirkung von starken Marken bei einer Kombination der Sinne erheblich steigern kann. Vor allem Töne versetzen Menschen unbewusst in Stimmungen, die einer Marke helfen oder schaden können. So assoziieren viele den Nokia-Ton inzwischen mit Stress und Termindruck; die ursprünglich positive Prägung könnte kippen. Man hat auch festgestellt, dass die Rhythmik von Musik die Verweildauer von Barbesuchern beeinflusst: Je langsamer die Hintergrundmusik, desto länger bleibt das Publikum. Traurige Musik, so fand eine weitere Studie heraus, verstärkt unsere Kauflust.
Alle großen Religionen sind starke Marken
Der Glaube an Autoritäten und höhere Mächte hat heutzutage Risse bekommen – wenn Sie eine starke Marke schaffen, können Sie diese Lücke ausfüllen und Ihren Kunden etwas geben, was ihrem Leben Stabilität verleiht. Drei Viertel der Jugendlichen in den USA wünschen sich etwas, woran sie glauben können. Bücher zu Glaubens- und Esoterikthemen steigerten ihren Absatz zwischen 2002 und 2007 um 7 %. Das sind Zahlen, an die Sie glauben können.
„Marken werden hervortreten und sich auf die Brust schlagen müssen, sie werden ihre Einzigartigkeit hervorheben und ihre Identität demonstrieren müssen wie nie zuvor.“
Die Liebe der Fans ähnelt der von religiösen Eiferern zu ihrer Gottheit: Sie vernehmen und verbreiten die Heilsbotschaft, und sie verbinden traditionelle Werte damit – Vertrauen, Glaube, Zugehörigkeitsgefühl und Gemeinsinn. Umgekehrt zeichnet große Religionen etwas aus, was viele Marken nur ungenügend kopieren: Sinnlichkeit. Die christliche Kirche hat sich durch unverwechselbare Markenzeichen auf allen fünf Sinneskanälen ins kollektive Gedächtnis gebrannt: Glockengeläut, Weihrauchduft, bunte Bleiglasfenster, Messwein, Ikonen und Liturgie sind nur einige Beispiele. Eine gute Portion Mystik gehört ebenfalls dazu – Weltklassemarken schaffen es, auch diese zu implementieren. Sinnliches Branding ist also zutiefst menschlich und wird seit Jahrtausenden bewusst und unbewusst genutzt.
Wenn starke Marken außer Kontrolle geraten
Auch Formen sind unglaublich einprägsam: Die Meiler von Atomkraftwerken rufen unweigerlich negative Assoziationen hervor, die Silhouette der Freiheitsstatue hingegen wirkt positiv. Wahrzeichen in aller Welt zeigen, wie aus simplen Gebäuden starke Marken werden. Mitunter wächst einer Marke die Kraft ihrer Ausstrahlung auch über den Kopf: So geschah es Coca-Cola, als 1985 die Geschmackszusammensetzung geändert werden sollte. Innerhalb kurzer Zeit bildeten sich Bürgerinitiativen mit sechsstelligen Mitgliederzahlen. Nach einigen Wochen Krieg der Fans gegen den verräterischen Hersteller gab dieser klein bei und braute wieder nach dem alten Rezept. Die Konsumenten hatten die „reine Lehre“ gegen eine irregeleitete Priesterkaste verteidigt, die Marke war zur Religion geworden.
Lässt sich Ihre Marke demontieren?
Prüfen Sie, inwieweit Ihre Marke sich an sämtliche Sinne richtet und geeignet ist, sich ins Gedächtnis einzugraben. Sie muss „demontierbar“, also im positiven Sinn in zahlreiche Bestandteile aufteilbar sein, die alle für sich unverwechselbare Markensignale sind. Den Nokia-Klingelton beispielsweise, eine eigentlich recht einfallslose Melodie, identifiziert heute ein Großteil der Konsumenten weltweit mit dem Unternehmen. Demontieren Sie also Folgendes:
- Service: Air France begrüßt jeden Fluggast mit einem Glas Champagner – das ist ein demontierbarer Servicebestandteil, mit dem sich die Airline heraushebt.
- Form: Eine besondere Form ist auch schemenhaft sofort wiedererkennbar. Den typischen Mercedes-Kühler erkennen Sie auch im Tunnel bei Stau im Rückspiegel.
- Namen: Ein Name kann so unverwechselbar sein, dass er ein Genre schafft – z. B. Tempo, das heute für alle Papiertaschentücher steht, oder die „i“-Produkte von Apple.
- Sprache: Die Sprache mancher Marken hat es über die Jahre geschafft, ganz und gar als zu ihr gehörig akzeptiert zu werden, etwa das „Mc“ in den diversen Produkten des Burger-Braters und sogar im „McJob“, ebenso bestimmte Schlüsselwörter im Marketing von Disney („Welcome to our kingdom of dreams“).
- Symbol: Ein Markenzeichen kann so einprägsam sein, dass es auch auf anderen Medien, unter Wasser oder in völlig fremdem Umfeld sofort erkannt wird.
- Akustik: Ein Produkt wird mitunter von Geräuschen oder Tönen begleitet, die kein anderer macht, und die einer Marke auch ohne Nennung derselben sofort zugeordnet werden können.
- Navigation: Nokia hat es geschafft, durch die Benutzerführung im Telefonmenü Millionen von Kunden an sich zu binden – sie haben keine Lust, umzulernen.
- Verhalten: Eine Marke kann man auch am Verhalten erkennen – das kann ein spezieller Sprachgebrauch oder ein besonderer Umgang mit den Kunden sein.
- Tradition: Eine lange Geschichte zu haben, wird stets positiv wahrgenommen – Markenwerte wie Kompetenz, Stabilität und Zuverlässigkeit werden damit vermittelt.
- Rituale: Versierte Marken entwickeln Rituale noch vor den Fans – das Aufbrechen der praktischen Ritter-Sport-Schokoladetafel ist ein demontierbares Markenritual.
Die Zukunft des Markenaufbaus
Schon heute ist es ohne erheblichen finanziellen Aufwand kaum noch möglich, eine Marke aufzubauen. Zukünftig wird auch purer Werbedruck nichts mehr nützen: Ohne sensorisches Branding in fünf Dimensionen kann keine große Marke mehr überleben. Als Erstes werden die Pharma- und die Fahrzeugindustrie auf den Zug aufspringen. Der Wettlauf darum, unser Leben zu branden und echte Sinneswahrnehmungen durch Markenassoziationen zu ersetzen, hat bereits begonnen. Dazu gehört, dass viele Konsumenten inzwischen die Designdüfte für die echten halten und die originalen verschmähen. Probleme mit sensorischem Branding haben bis auf Weiteres reine Internetmarken: Online wird weder der Geschmacks- noch der Geruchs- oder der Tastsinn angesprochen. Dieser Nachteil bleibt vorläufig unüberwindbar, was der Ausbreitung von Online-Brands eine natürliche Grenze setzt.