Der Hype um die Sozialkompetenz
Der Ruf nach mehr Sozialkompetenz bei Managern ist allgegenwärtig. Was auf den ersten Blick nach einer klaren Forderung aussieht, erweist sich bei näherer Betrachtung oft als ein Sammelsurium höchst unterschiedlicher Erwartungen. Einigkeit scheint lediglich darin zu bestehen, dass Manager nur beruflich erfolgreich sein können, wenn sie ausreichend sozial kompetent sind. Methoden- und Fachwissen allein scheinen nicht mehr zu genügen; die Schlüsselkompetenz der Zukunft ist offenbar die Sozialkompetenz, sie findet sich in jeder Stellenanzeige, egal welcher Branche.
„Alle Welt redet von Sozialkompetenz, obwohl keiner genau weiß, was es ist.“
Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde soziale Intelligenz, der Vorläufer der heutigen Sozialkompetenz, thematisiert. Einen echten Aufschwung hat diese seit den 70er Jahren erlebt: Die soziale Motivation des Menschen, seine Abhängigkeit von anderen und die Neigung, im Sinne sozialer Normen zu handeln, wurden erforscht. Der Mensch und sein Menschsein rückten in den Mittelpunkt und wurden zur Grundlage der erfolgreichen Mitarbeiterführung. Vorrangiges Ziel war, die Menschen zu verstehen und adäquat mit ihnen umzugehen.
„Sozialkompetenz wird häufig überschätzt; sie leistet keinen relevanten Beitrag zu Problemlösungen.“
Der Hype um die Sozialkompetenz in Führungsetagen hält bis heute unvermindert an. Es scheint, als würde ohne „social skills“ nichts mehr gehen. Das gesteigerte Interesse hat den Glauben hervorgerufen, in der Sozialkompetenz ein Allheilmittel gegen vielfältige Probleme gefunden zu haben. Was aber viele falsch verstehen: Sozialkompetenz heißt nicht, immer nur lieb und nett zu sein, um von allen geschätzt zu werden.
Sozialkompetenz als Scheinproblem
Als sozial kompetent geltende Äußerungen haben auf die Problemlösung tendenziell eher negative Auswirkungen: Sie erzeugen eine Kaffeekränzchen-Mentalität oder wirken als Innovationskiller. Jüngere Untersuchungen haben gezeigt, dass die Wirkung von Sozialkompetenz oft überschätzt wird. So kam man bei der Entwicklung des Kasseler-Kompetenz-Rasters aufgrund umfangreicher Workshop-Beobachtungen zum Schluss, dass soziale Kompetenz nicht explizit dazu befähigt, gute Lösungen zu erarbeiten. Dafür sind vielmehr andere Kompetenzen erforderlich:
- Fachkompetenz ist nicht kompensierbar und ist daher die eigentliche Schlüsselkompetenz.
- Methodenkompetenz ist für den strukturierten Problemlösungsprozess von Nutzen.
- Positive Selbstkompetenz ist ergebnisfördernd und erhöht die Teilnehmerzufriedenheit.
„Fachkompetenz ist nicht kompensierbar.“
Ist die omnipräsente Forderung nach mehr Sozialkompetenz dann nicht mehr als ein Ablenkungsmanöver? Fehlt es nicht vielmehr an professionellem Management, was erst mit dem zunehmend komplexen Berufsalltag transparent wurde?
Wirksames Management
Management gilt als amerikanische Erfindung aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in Wahrheit existiert diese Tätigkeit jedoch schon viel länger. Zweifellos hat es die soziale und wirtschaftliche Struktur in den Industrieländern verändert. Management lässt sich verstehen als die Umwandlung von Ressourcen in Nutzen. Und es ist ein Beruf der Resultaterzielung.
„Soziale Fähigkeiten sind darauf ausgerichtet, ein optimales Funktionieren des ‚Wir‘ in der Gruppe sicherzustellen.“
Peter F. Drucker wird oft als geistiger Vater des Managements bezeichnet. Er prägte die Aussage: „Als Manager muss man das produktiv machen, was man zur Verfügung hat.“ In seinen Büchern untersuchte Drucker immer wieder die Grundsätze eines wirksamen Managements und die Herausforderungen künftigen Wirtschaftens. Von höherer Sozialkompetenz bei Managern ist bei ihm jedoch nie die Rede.
„Die richtige Businessmission ist ein Katalysator für Sozialkompetenz.“
Drucker sah den Manager als Komponist, der eine Melodie kreiert, und als Dirigent, der dann die Spieler und ihre Instrumente harmonisch zusammenführt, um die Musik hörbar zu machen. Diese Aufgabe erfordert vom Manager zwar höchstes Können, aber er muss kein Universalgenie sein. Eine der wenigen nicht erlernbaren Grundvoraussetzungen ist laut Drucker die Integrität. Sie bestimmt die Aufrichtigkeit und Seriosität des Managers und fördert damit das Vertrauen ins Management.
Komplexität meistern
Zukunftsforscher prognostizieren immer neue Technologien, zunehmend instabile Märkte und schnellere Wettbewerbsveränderungen. Was hingegen unverändert bleibt, ist der Mensch mit seinen jeweiligen Stärken und Schwächen. Daran hat sich im Vergleich zu vorangegangenen Managergenerationen nichts geändert. Unabhängig von spezifischen Trends und Entwicklungen wird die Komplexität und Dynamik unseres Wirtschaftens zunehmen. Komplexität ist die Vielfalt, die sich aus den möglichen Varianten ergibt. Manager müssen lernen, mit dieser Komplexität umzugehen. Der Slogan „Keep it simple“ hat nur dort seine Berechtigung, wo es überhaupt gelingen kann, die Dinge einfach zu halten. Das Verständnis komplexer Sachverhalte erfordert ein Denken in Zusammenhängen. Leider wird in der Schule nur lineares Denken gelehrt. Häufige Fehler im Umgang mit komplexen Systemen sind:
- falsche Zielbeschreibungen,
- unvernetzte Situationsanalysen,
- voreilige Schwerpunktbildungen,
- nicht beachtete Nebenwirkungen und
- die Tendenz zur Übersteuerung und zu autoritärem Verhalten.
„Führungskräfte müssen ihren Mitarbeitern möglichst vorurteilsfrei und wertfrei begegnen, wenn sie fair eine Leistung und nicht eine Person beurteilen wollen.“
Kybernetik ist die Lehre von der Struktur und dem Verhalten komplexer Systeme. Das kybernetische Prinzip der Natur ist die selbsttätige Regelung ineinandergreifender, vernetzter Abläufe bei minimalem Energieaufwand. Beherzigt man das Beispiel der Natur, so müssten Manager einfach dafür sorgen, dass sich ihr System von selbst organisiert. Wem das gelingt, der kommt mit einer normalen Portion Sozialkompetenz aus: Unnötige Reibung und unangenehme Missverständnisse fallen ebenso weg wie zeitraubende Abklärungsschleifen. Wir müssen uns allerdings von der landläufigen Meinung verab¬schieden, der Mensch könne komplexe Systeme jeder Art beherrschen und in seinem Interesse steuern. Wie schlecht das manchmal tatsächlich gelingt, zeigt die Subprimekrise – mit mangelnder Sozialkompetenz hatte die nichts zu tun.
Ein Modell für wirksame Führung
Gemäß dem Modell für effektives Management und wirksame Führung, entwickelt auf Basis des St. Galler Management-Modells, beinhaltet der Beruf des Managers vier Elemente:
- die Aufgaben, die es zu erfüllen gilt,
- die Werkzeuge, die bei der Erfüllung der Aufgaben eingesetzt werden,
- die Grundsätze, die bei der Aufgabenerfüllung und dem Einsatz der Werkzeuge handlungsweisend sind und damit die Qualität und Wirksamkeit bestimmen, sowie
- die Verantwortung für die Konsequenzen der beruflichen Tätigkeit.
„Integrität ist entscheidend für jeden Manager: Man muss meinen, was man sagt – und so handeln.“
Deutlich wird: Führung ist ein Handwerk, das Manager beherrschen müssen. Die Führungskraft muss sich zunächst das erforderliche Managementfachwissen aneignen und dessen Anwendung trainieren, um dann professionell agieren zu können. Die Erfüllung der Managementaufgaben hat oberste Priorität: Die Führungskraft muss Ziele definieren, richtig entscheiden und Leistung fair beurteilen – denn die Aufgaben werden letztlich von den Mitarbeitern, im Alleingang oder im Team, umgesetzt.
Sozial kompetentes Führungsverhalten mit Master Controls
Menschen sind verschieden, und diese Verschiedenheit nützt den Unternehmen. Keine Organisation erlaubt es sich heute noch, Menschen auf eine Rolle als bloßer Produktionsfaktor zu reduzieren. Es braucht die schöpferische Kraft vieler, damit ein Unternehmen sich am Markt behaupten kann. Das bedeutet aber nicht, dass bei der Führung auf jeden Einzelnen Rücksicht genommen werden kann. Es gilt, allgemeine Regeln oder Master Controls festzulegen, die für alle verbindlich sind und eine Selbstregulation – analog dem kybernetischen Gedankengut – ermöglichen. Ein Beispiel für eine Master Control wäre die Regel „Keine Überraschungen“: Sie besagt, dass der Chef frühzeitig von bedeutenden Veränderungen unterrichtet werden will, damit er im Notfall rechtzeitig eingreifen kann. Damit solche allgemeinen Regeln einen offiziellen Charakter bekommen, empfiehlt sich ihre Verankerung im Leitbild oder in den Führungsrichtlinien. Zur wirksameren Implementierung können sie auch mit den jährlichen Zielvereinbarungen verknüpft werden.
„Management ist ein Massenberuf, den viele gewöhnliche Menschen zum Wohle der Gesellschaft ausüben.“
Das Modell der Master Controls lässt sich am besten grafisch, in Form einer kreisübergreifenden Vernetzung, veranschaulichen. Den innersten Kreis bilden die elementaren Manieren, die grundlegend sind für die Zusammenarbeit in Organisationen. Die Manieren werden in einem übergeordneten Kreis umgeben von Toleranz und Offenheit sowie einem Minimum an Empathie. Darauf aufbauend soll sich das Verhalten im nächsten Kreis an Beitrags- und Stärkenorientierung ausrichten und von positivem Denken geprägt sein. Integrität, Vertrauen und Respekt sind die essenziellen Bestandteile eines weiteren Kreises, der in die alles umschließende Verantwortung des äußersten Kreises mündet. Die Verantwortung ist gleichzeitig Kern und Ausgangspunkt für gutes Management: Wer keine Verantwortung übernehmen will, ist keine Führungskraft und darf auch keine sein.
„Leader werden nicht fix und fertig geboren. In der Regel sind es spezielle Situationen, die aus Personen Leader machen.“
Generell gilt, dass den Elementen der äußeren Kreise mehr Bedeutung zukommt als jenen der inneren. Ein vergessenes „Danke“ wird eher entschuldigt als ein durch Fehlverhalten verspieltes Vertrauen: Einen Vertrauensbruch verzeihen Mitarbeiter nur schwer, und er kann noch lange nachwirken, während sie das fehlende „Danke“ schon bald vergessen, sofern das Vertrauensverhältnis intakt ist. Master Controls regeln die universellen Prinzipien des Verhaltens von Führungskräften. Die Prinzipien müssen verständlich sowie lern- und anwendbar sein, unabhängig davon, welche sozialen Voraussetzungen ein Manager mit seiner Persönlichkeit mitbringt. Schwerwiegende Fehler im zwischenmenschlichen Bereich und im richtigen Umgang mit Mitarbeitern können so vermieden werden.
Gutes Management in Krisenzeiten
Ein wirtschaftlich schwieriges Umfeld erfordert, dass Mitarbeiter nicht nur Spitzenleistungen erbringen, sondern auch den notwendigen Kampfgeist haben, um allen Widrigkeiten zum Trotz ihre Aufgaben erfolgreich zu meistern. Insbesondere in Krisensituationen schätzen Mitarbeiter professionelles Management, während Feinheiten im zwischenmenschlichen Bereich in den Hintergrund treten. Der Manager muss sich also primär auf das Handwerk des guten und richtigen Managements konzentrieren. Dies tut er auf sozial kompetente Weise, indem er sich seiner Verantwortung bewusst ist und integer, respekt- und vertrauensvoll agiert.