Die Flutwelle des Wandels
Heutzutage sehen sich Führungskräfte und ihre Mitarbeiter mit einem immer schnelleren Wandel konfrontiert. Da man diesem allerdings ständig ausgesetzt ist, nimmt man ihn nur bedingt wahr. Die Megatrends Connectivity und Globalisierung führen dazu, dass die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben immer mehr verschwimmen. Höhere Leistungsanforderungen, Erreichbarkeit rund um die Uhr und steigende Komplexität sind die negativen Folgen. Positive Aspekte dieser Trends sind flachere Hierarchien, breitere Verantwortung und kultureller Austausch aufgrund stärkerer internationaler Vernetzung. Von einer Fortsetzung und Intensivierung des Wandels ist auszugehen. Deshalb kommt dem Change-Leadership eine Schlüsselrolle zu. Denn Mitarbeiter verhalten sich bei Veränderungen oft sehr emotional und agieren irrational. Diesem Umstand müssen Sie als Führungskraft mit Einfühlungsvermögen begegnen können.
Die emotionale Achterbahn
Betrachtet man die menschlichen Reaktionen auf unangenehme Neuigkeiten, lässt sich ein einheitliches Verhaltensmuster erkennen: die „emotionale Achterbahn“, die sich in sechs Phasen gliedert:
- Verneinung (Angst, Nichtwahrhabenwollen),
- Zorn (Wandel wird als unausweichlich erkannt, Suche nach einem Schuldigen),
- Depression (Niedergeschlagenheit),
- Akzeptanz (Gleichmut),
- Integration (Friede, neuer Zustand wird zum Alltag),
- Selbstgefälligkeit (Signale für einen neuen Wandel werden ignoriert, anschließend folgt u. U. wieder Phase 1).
„Im internationalen Wettbewerb werden vor allem die Unternehmen und Manager Vorteile haben, die sich dem Wandel nicht nur schneller als andere anpassen können, sondern ihn sogar initiieren.“
Die Ausprägung der jeweiligen Emotionen ist von der Hierarchieposition und den Mitgestaltungsrechten eines Mitarbeiters abhängig. In den Phasen „Selbstgefälligkeit“ und „Verneinung“ hilft eine offene Kultur der Wandel¬bereitschaft, in der kontinuierliche Verbesserung angestrebt und anerkannt wird. Dominiert trotzdem die Angst, brauchen die Mitarbeiter Zeit, um sich auf neue Anforderungen einzustellen. Sie sollten den Betroffenen allerdings nicht zu viel Zeit lassen, sondern die Notwendigkeit des Wandels unmissverständlich klarmachen und ihnen mit spezifischen, kurzfristigen Aufgaben die Angst vor dem Neuen nehmen. Die Phase „Zorn“ kann durch aufmerksames Zuhören und die Gewährung von Mitspracherechten überwunden werden. In der Phase „Depression“ trauern die Mitarbeiter Vergangenem nach (getreu dem Motto: „Früher war alles besser“). Dabei lernen sie loszulassen und beginnen, neue Wege zu gehen. Nach erfolgter Trauerarbeit tritt bei den Mitarbeitern die Phase „Akzeptanz“ ein: Sie wollen das Beste aus der Situation machen. Nachdem sich die Wogen geglättet haben, braucht es die aktive Unterstützung des Vorgesetzten zur Aneignung neuer Fähigkeiten. In dieser chaotischen Phase erweisen sich Trainings und eine offene Fehlerkultur als hilfreich – denn das Alte funktioniert nicht mehr und das Neue noch nicht. Die abschließende Phase „Integration“ dient der Rückkehr zum Alltag.
„Im Wandel ist die Wahrnehmung der Mitarbeiter sehr einseitig auf die negativen Aspekte fixiert. Die gute alte Zeit wird übertrieben glorifiziert.“
Es gibt also für jede Phase geeignete Maßnahmen, die die Bereitschaft zum Wandel fördern. Dem stehen aber folgende Schwierigkeiten gegenüber, die Sie berücksichtigen müssen:
- Die Mitarbeiter durchlaufen den Wandel ungleich schnell.
- Die Mitarbeiter durchlaufen den Wandel nicht linear – sie können in eine frühere Phase zurückfallen oder in einer Phase stecken bleiben.
- Mitarbeiter verschiedener Hierarchieebenen durchlaufen den Wandel unterschiedlich.
Wenn keiner mitmacht
Viele Erfahrungen zeigen, dass der Verstand kaum an der Akzeptanz des Wandels beteiligt ist. Er trifft keine Entscheidung, sondern liefert lediglich im Nachhinein eine rationale Begründung. Die eigentliche Steuerungseinheit für unser Verhalten ist das so genannte mittlere limbische System, das unbewusst arbeitet. Es steuert die Bewertung, die emotionale Konditionierung und die Motivation. Von den Sinnesorganen wird es mit Informationen versorgt, die – indem auf Erfahrungen zurückgegriffen wird – als „angenehm“ oder „unangenehm“ bewertet werden. Es ist also verantwortlich dafür, ob wir motiviert sind, etwas zu tun oder zu lassen. Dem Manager muss es daher gelingen, ein Problem bzw. die Notwendigkeit des Wandels emotional erlebbar zu machen. Seine persönliche Einstellung spielt dabei eine entscheidende Rolle: Sie ist es, die bei den Mitarbeitern eine positive Haltung hervorruft und Energien zur Umsetzung neuer Maßnahmen weckt. Die Führungskraft muss
- im Wandel zum Vorbild werden und Informationen emotional vermitteln,
- Betroffenheit, aber keine Furcht auslösen,
- die Notwendigkeit für den Veränderungsbedarf sichtbar machen,
- die Mitarbeiter konkrete Probleme erleben lassen, die die Notwendigkeit des Wandels unterstreichen, und
- sich auf die Problemlösung konzentrieren, statt nach Ursachen oder Schuldigen zu suchen.
Wenn keiner aufhört
Zur Aneignung einer neuen Verhaltensweise muss die alte aufgegeben werden. Wie aber bringt man Mitarbeiter dazu, sich von ihren Gewohnheiten zu lösen? Generell ist es leichter, etwas völlig Neues zu lernen, als ein altes Denkmuster zu verlernen. Zu beachten ist, dass der Wandel zwar außerhalb der Person stattfindet, dass er jedoch eine innere, psychische Transformation erfordert. Diese Transformation hat mit Logik nicht viel zu tun, sondern basiert hauptsächlich auf Gefühlen. Angst, Zorn und Trauer sind die stärksten Emotionen der vom Wandel betroffenen Mitarbeiter; mit diesen Gefühlen müssen Sie angemessen umgehen. Es gilt die Formel:
„Kommunizieren Sie in schwierigen Situationen direkt und persönlich. Auch unangenehme Gespräche sind Ihr Job, hier erweist sich Ihr Charakter.“
Leistung = Wollen x Können x Dürfen
Geht einer der Faktoren gegen null, ist das Ergebnis ebenfalls null. Während sich das Können (Leistungsvermögen) und das Dürfen (Verantwortung) relativ einfach korrigieren lassen, scheitert der Wandel sehr oft am Wollen. Die Sichtweise des Mitarbeiters wahrzunehmen, erfordert Interesse, Geduld und Unvoreinge¬nommenheit.
Wenn alle auf die Barrikaden gehen
Wie reagiert man auf aktiven Widerstand? Konkrete Anzeichen von Widerstand sind bei Mitarbeitern oft Konfusion, Schweigen oder sogar Sabotage. Die üblichen Reaktionen bei Managern reichen von erhöhtem Machteinsatz und Manipulation bis hin zum stillschweigenden Nachgeben. Beachten Sie: Widerstand ist legitim. Er drückt aus, dass etwas in Bewegung kommt. Als Führungskraft müssen Sie hinter die Fassade der rationalen Argumente schauen, die der Mitarbeiter als Gründe für seine Ablehnung nennt. Versuchen Sie, übertrieben negative Sichtweisen zu relativieren und den Wahrnehmungsfilter für positive Aspekte zu öffnen. Bleiben Sie gelassen und fördern Sie den Dialog, beziehen Sie Stellung und agieren Sie souverän und wertschätzend. Vergessen Sie nicht: Ein reinigendes Gewitter kann Druck wegnehmen. Lassen Sie die Mitarbeiter darum ruhig ihre Kritik und Wut äußern und nehmen Sie es nicht persönlich – danach ist eine konstruktive Zusammenarbeit oft wieder möglich.
Wenn alles zusammenbricht
Egal, ob der Wandel in Raten oder zu einem bestimmten Stichtag erfolgt: Eine Chaosphase wird sich kaum vermeiden lassen. Der Wandel ist erst abgeschlossen, wenn alle Mitarbeiter sich emotional darauf eingelassen und ihr Verhalten angepasst haben. In der Chaosphase kann es von Vorteil sein, ein Projektteam aus Befürwortern und neutral eingestellten Mitarbeitern zusammenzustellen, das die Einführung des Neuen aktiv beeinflusst und für kurzfristig sichtbare Erfolge sorgt. Das Team sollte über Macht und Handlungsfähigkeit verfügen, gut vernetzt sein und wertschätzend mit Emotionen umgehen. Von Vorteil ist außerdem eine Innovations- und Fehlerkultur, die neue Denkweisen fördert. Wenn Sie schon dabei sind, Veränderungen durchzusetzen, können Sie allenfalls weitere Wandelvorhaben auf den Weg bringen, die unter normalen Bedingungen nicht möglich wären. Allerdings müssen die Mitarbeiter auch vor zu viel Wandel geschützt werden. Hier müssen Sie sorgfältig abwägen, was sinnvoll ist.
Wenn alle zurückmarschieren
Viele Menschen ändern Gewohnheiten nur unter bestimmten Bedingungen. Am Beispiel zahlreicher Erkrankter lässt sich zeigen, dass wir eher dazu neigen, die Ge¬sundheit aufs Spiel zu setzen, als alte Gewohnheiten abzulegen. Es braucht also Hilfestellung, um den Wandel bei den Mitarbeitern zu verankern:
- Sie müssen Vertrauen in die Wandlungsfähigkeit der Mitarbeiter haben. Damit beeinflussen Sie deren Überzeugung, „es schaffen zu können“, entscheidend.
- Sie müssen ein bestimmtes Verhalten so oft wiederholen lassen, bis es zur Gewohnheit wird. Fühlbar schneller Erfolg („Quick Win“) vergrößert die Motivation der Mitarbeiter.
- Sie müssen ein Umfeld schaffen, das neue Denkmuster fördert.
Die Psychologie der Gerüchte
Obwohl der „Flurfunk“ äußerst schnell und effizient funktioniert, entspricht er meist nicht den Wünschen der Führungskraft. Gerüchte unterliegen oft einer Steigerung ins Negative. Tun Sie Folgendes, um dem Gerede vorzubeugen:
- Kommunizieren Sie den Wandel zu einem möglichst frühen Zeitpunkt, auch wenn noch nicht alle Details vorhanden sind. Zu späte Information wird als Vertrauensbruch wahrgenommen.
- Richten Sie sich an die Mehrheit der Mitarbeiter. Neben den Befürwortern und Gegnern gibt es eine große, sich relativ neutral verhaltende Mehrheit. Diese gilt es zu gewinnen. Vergeuden Sie nicht unnötig Energie, indem Sie sich zu lange mit Gegnern aufhalten.
- Priorisieren Sie Botschaften und wiederholen Sie die wichtigsten immer wieder. Bleiben Sie dabei authentisch und kommunizieren Sie mit Taten.
- Reden Sie negative Dinge nicht schön. Bleiben Sie konkret und ehrlich. Nutzen Sie die Kraft von Bildern und Metaphern.
Krisengespräche
Der korrekte Umgang mit den Verlierern des Wandels – den Mitarbeitern, die gegen ihren Willen versetzt, herabgestuft oder entlassen werden – gehört zu den anspruchsvollsten Managementaufgaben. Sie müssen sich in die Rolle des Mitarbeiters hineinversetzen. Einfühlsame und wertschätzende Gespräche sind erforderlich. Das Erstgespräch sollten Sie kurzhalten, da der Mitarbeiter aufgrund des Schocks erfahrungsgemäß nur eingeschränkt aufnahmefähig ist. Die Nachfolgegespräche sollten von Fairness und Transparenz geprägt sein. Darüber hinaus ist nicht zu vergessen, dass auch bei indirekt Betroffenen, z. B. im Kollegenkreis, Ängste und Schuldgefühle entstehen können. Letztlich muss auch der Vorgesetzte selbst persönlichen Ausgleich suchen; Kündigungsgespräche stellen eine enorme Belastung dar.