Wege aus der Working Capital-Falle

Buch Wege aus der Working Capital-Falle

Steigerung der Innenfinanzierungskraft durch modernes Supply Management

Springer,


Rezension

Lager optimieren, Einkauf­spreise senken und das im Umlaufvermögen gebundene Kapital freisetzen – wenn der Leser dies verstanden hat, haben die Autoren ihr Ziel erreicht. Hier konzen­tri­ert man sich auf das Wesentliche: Formeln und Fakten dominieren, der Lesespaß steht bei Wege aus der Working Cap­i­tal-Falle definitiv nicht im Vordergrund. Grund­ken­nt­nisse des Beschaf­fungs­jar­gons werden vo­raus­ge­setzt. Die Autoren stellen den aktuellen Forschungs­stand zum Beschaf­fungs­man­age­ment sowie die gebotenen Maßnahmen zur Optimierung des Sup­ply-Chain-Man­age­ments dar. Das Ergebnis freut den effizienten Praktiker: Er erhält ein Lehr- und Handbuch als Hilfe zur sofortigen Umsetzung. BooksInShort empfiehlt den Leitfaden allen Einkäufern, Fi­nanzierungsspezial­is­ten und Studieren­den der Be­trieb­swirtschaft mit Schwerpunkt Beschaffung.

Take-aways

  • Die Finanzkrise hat Bank­fi­nanzierun­gen schwieriger gemacht.
  • Unternehmen müssen sich vermehrt von innen finanzieren.
  • Mit der Self-Fi­nance­able Growth Rate lässt sich errechnen, wie stark ein Unternehmen ohne Außen­fi­nanzierung wachsen kann.
  • Der Cash-to-Cash Cycle, also die Zeitspanne zwischen Ihrer Zahlung an den Lieferanten und der Zahlung des Kunden an Sie, sollte möglichst kurz sein.
  • Je geringer das investierte Kapital im Netto-Um­laufvermögen, desto geringer sind die Kap­italkosten und desto höher ist der Un­ternehmenswert.
  • Bezahlen Sie Lieferanten später, verhandeln Sie höhere Skonti und verkaufen Sie Waren auf Vorkasse.
  • Lager­hal­tung kostet Geld. Unterteilen Sie Ihre Waren nach deren Wert und Lageranteil in A-, B- und C-Artikel und optimieren Sie deren Menge.
  • Pro­fes­sion­al­isieren Sie Ihre Beschaffung: Struk­turi­eren Sie Ihre Liefer­an­te­nauswahl und erheben Sie Beschaf­fungskenn­zahlen.
  • Einseitige Maßnahmen sind ein Null­sum­men­spiel: Wenn Sie Ihre Lieferanten später bezahlen, steigt zwar Ihre Liquidität, doch jene der Anbieter sinkt.
  • Win-win-Sit­u­a­tio­nen entstehen durch Maßnahmen, die alle Akteure entlang der Beschaf­fungs­kette mitein­beziehen.
 

Zusammenfassung

Die Work­ing-Cap­i­tal-Falle

Steigende Ar­beit­slosen­quote, sinkende In­dus­triepro­duk­tion und Ver­lust­mel­dun­gen der Unternehmen: Dies waren die Folgen der Finanzkrise ab 2007, die unglück­licher­weise noch mitten im Kon­junk­turab­schwung einsetzte. Zwar erholt sich die Wirtschaft wieder, doch die Banken sind bei der Kred­itver­gabe sehr zurückhaltend. Die Folge könnte eine Kred­itk­lemme sein, d. h., es werden nicht so viele Mittel verliehen, wie unter den gegebenen Zinssätzen zu erwarten wäre. Die Unternehmen stecken nun in der Zwickmühle: Sie erhalten nur eingeschränkten Zugang zu Fi­nanzmit­teln, die sie dringend für neue Wach­s­tum­sin­vesti­tio­nen bräuchten – weil sie während der Finanz- und Wirtschaft­skrise Bestände und Kapazitäten zurückgefahren haben, um ihr Überleben zu sichern. Dies ist die Work­ing-Cap­i­tal-Falle. Wenn aber Geld von außen rar ist, bleibt erst einmal nur die In­nen­fi­nanzierung.

Die Self-Fi­nance­able Growth Rate

Natürlich hängt das mögliche Wachstum auch von Faktoren wie der Stimmung auf den Arbeits- und Absatzmärkten ab. Doch die Finanzlage eines Un­ternehmens wird zu einem Gutteil von seiner Aus­gangspo­si­tion bestimmt. Wie stark kann ein Unternehmen wachsen, ohne auf Fi­nanzierung von außen angewiesen zu sein? Dies können Sie mit der Self-Fi­nance­able Growth Rate (SFGR) errechnen. Sie bezeichnet die Wach­s­tum­srate, die ein Unternehmen mithilfe des eigenen operativen Cashflows erreichen kann, ohne auf Außen­fi­nanzierung oder In­vesti­tionsverkäufe zurückgreifen zu müssen, und wird durch drei Faktoren bestimmt:

  1. Der Operating Cash Cycle (OCC) ist die Zeitspanne zwischen dem Eingang der Ressourcen bzw. Vorräte in Ihrem Unternehmen und dem Zahlung­sein­gang des Kunden. Er setzt sich zusammen aus den Days Inventory Held (DIH), d. h. der Zeit, während der Sie die Vorräte in der Firma halten, bevor das Endprodukt an den Kunden verkauft wird, und den Days Sales Outstanding (DSO), d. h. dem Alter der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen. Berechnen Sie die Kennzahlen nach folgenden beiden Formeln:
„Die Kombination von steigendem Liquiditätsbedarf durch Wachstum und dem geringen durch­schnit­tlichen Be­stand­sniveau eines Un­ternehmens bei gle­ichzeitig erschwertem Zugang zu Fremd­kap­i­tal kann als ,Work­ing-Cap­i­tal-Falle‘ beschrieben werden.“

DIH = Vorräte x 365 Tage / Her­stel­lungskosten DSO = Forderungen aus Lieferungen und Leistungen x 365 Tage / Umsatzerlöse

  1. Zur Berechnung der benötigten Fi­nanzmit­tel pro OCC addieren Sie die Mit­tel­bindung der Her­stel­lungskosten (MHK) mit jener der sonstigen Aufwen­dun­gen (MSA).
„Der OCC umfasst die Zeitperiode, in welcher beim Unternehmen finanzielle Mittel in Lagervorräten sowie an­der­weit­igem Umlaufvermögen gebunden sind, bevor der Zahlung­sein­gang für die erbrachten Leistungen erfolgt.“

MHK = (MHK in Tagen x Her­stel­lungskosten) / (OCC x Umsatzerlöse) MSA = (MSA in Tagen x sonstige Aufwen­dun­gen) / (OCC x Umsatzerlöse)

  1. Die frei verfügbaren Mittel pro OCC entsprechen der Um­satzren­dite, d. h. den Umsatzerlösen abzüglich Her­stel­lungskosten und sonstigen Aufwen­dun­gen.
„Der Economic Value Added als Maß des Un­ternehmenswertes lässt sich sowohl durch eine Verbesserung des Be­trieb­sergeb­nisses als auch durch eine Reduzierung der Kap­italkosten steigern.“

Aus diesen Daten errechnet sich die an­nu­al­isierte SFGR wie folgt:

An­nu­al­isierte SFGR = ((1 + (frei verfügbare Mittel pro OCC in Dez­imal­darstel­lung) / (benötigte Fi­nanzmit­tel pro OCC)) ˄ (365 / OCC)) – 1

Um diese Wach­s­tum­srate zu steigern, können Sie z. B. den OCC verkürzen, indem Sie die Lagerbindungs­dauer senken, die Kunden zu einer früheren Zahlung anhalten oder Ihre Lieferanten später bezahlen. Wenn das nicht möglich ist, bleiben noch höhere Umsätze oder geringere Her­stel­lungskosten als Ausweg.

Optimierung des Cash-to-Cash Cycle

Der Cash-to-Cash Cycle ist die Zeit zwischen Ihrer Zahlung an den Lieferanten und der Zahlung des Kunden an Sie. Da Ihr Kapital nicht zu lange gebunden sein darf, sollte der Cash-to-Cash Cycle möglichst kurz sein. Berechnen Sie die Dauer dieses Zyklus, indem Sie von der Summe aus DIH und DSO die Days Payables Outstanding (DPO) abziehen. Diese errechnen sich so:

„In der Praxis findet ein gemeinsames Auftreten von Lieferant und Abnehmer gegenüber Vor­liefer­an­ten vor allem in Branchen mit geringer Wertschöpfungstiefe und folglich mit einem hohen Ma­te­ri­alkos­tenan­teil statt.“

DPO = Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen x 365 / Her­stel­lungskosten

Je länger Sie die Bezahlung Ihrer Lieferanten hinauszögern, desto besser. Allerdings dürfen Sie auch die Kosten nicht vernachlässigen, die dadurch entstehen, dass Sie Skonti nicht nutzen.

Das Netto-Um­laufvermögen (Net Working Capital) stellt die Differenz zwischen dem Umlaufvermögen und den kurzfristi­gen Verbindlichkeiten dar. Es spielt bei der Berechnung des Un­ternehmenswertes (Economic Value Added) eine große Rolle, da dabei vom Geschäftsergebnis nach Steuern die Kap­italkosten abgezogen werden. Die Kap­italkosten wiederum sind das Produkt aus dem Kap­italkosten­satz und dem in­vestierten Kapital, das sich im Großen und Ganzen aus dem Net Working Capital und dem Anlagevermögen zusam­mensetzt. Je geringer also das Net Working Capital – d. h. hohe Verbindlichkeiten und wenig Vorräte und Forderungen –, desto geringer das investierte Kapital und desto niedriger die Kap­italkosten. Wollen Sie den Un­ternehmenswert erhöhen, treffen Sie folgende Maßnahmen:

  • Au­toma­tisieren und beschle­u­ni­gen Sie den Rech­nungsstel­lung­sprozess.
  • Verkaufen Sie Forderungen mittels Factoring.
  • Versuchen Sie, Waren auf Vorauskasse zu verkaufen, und machen Sie eine rasche Bezahlung durch Skonti schmackhaft.
  • Gehen Sie Part­ner­schaften mit den Lieferanten ein, im Zuge derer sich diese um das Lager kümmern.
  • Bieten Sie weniger Varianten eines Produkts an und versuchen Sie, Lagerstufen zu eliminieren bzw. Zwis­chen­lager zu vermeiden.
  • Stan­dar­d­isieren Sie Ihre Zahlung­sprozesse, damit Sie Ihre Rechnungen weder zu früh noch zu spät begleichen.

Maßnahmen zur Stärkung der In­nen­fi­nanzierungskraft

Verhandeln Sie mit Ihren Lieferanten über eine Steigerung der Skontosätze oder diskutieren Sie die Möglichkeit, sie später zu bezahlen. Dies geht natürlich dann am besten, wenn Sie über eine hohe Markt- und damit Ver­hand­lungs­macht verfügen. Da höhere Skontosätze und längere Zahlungs­fris­ten zwei konkur­ri­erende Ziele sind, können Sie nur schwer beide gle­ichzeitig verfolgen. Konzen­tri­eren Sie sich auf die rel­e­van­testen Lieferanten und Waren­grup­pen. Gehen Sie bei der Kon­tak­tauf­nahme mit den Lieferanten und bei den Ver­hand­lun­gen struk­turi­ert vor; messen Sie den Erfolg anhand definierter Kennzahlen und halten Sie die neuen Zahlungskon­di­tio­nen in Ihren allgemeinen Geschäfts- bzw. Einkaufs­be­din­gun­gen fest.

„Ins­beson­dere größere Abnehmer, die über viele kleine regionale Lieferanten verfügen, gewinnen an Marktmacht, wenn sie un­ternehmensin­tern Volumina aggregieren und über ihre Lieferanten hinweg bei den Vor­liefer­an­ten als Käufer auftreten.“

Ein hoher Lagerbe­stand verursacht Lagerkosten sowie Kosten, die dadurch entstehen, dass Sie Kapital gebunden haben. Nehmen Sie zunächst eine Analyse der Ist-Sit­u­a­tion vor. Welche Bestände liegen in welchen Typen von Lagern vor? Un­ter­schei­den Sie die dadurch verur­sachten Kosten und klas­si­fizieren Sie sie nach Opportunitätskosten (Kosten, die dadurch entstehen, dass das Kapital nicht für andere In­vesti­tio­nen bereitsteht), Lager­hauskosten, Ver­sicherungskosten, Lager­risikokosten und Fehlmen­genkosten (Kosten durch die Nichtverfügbarkeit von Waren). Sie müssen eine angemessene Balance zwischen Ver­sorgungssicher­heit und Kosten finden.

„Wie die Bezeichnung vermuten lässt, stellt Reverse Factoring ein umgekehrtes Factoring dar. Dabei wird der Abnehmer zum Initiator des Factorings, das zur Fi­nanzierung eines Lieferanten dient.“

Unterteilen Sie die Waren mithilfe einer ABC-Analyse in A-Artikel mit einem geringen Anteil am Lager, aber hohem Wert, B-Artikel mit einem mittleren Anteil und geringem Wert sowie C-Artikel mit einem hohen Anteil und geringem Wert. Für Waren der Gruppe A schließen Sie langfristige Rahmenverträge ab und streben nach einer Just-in-time-Liefer­ung. C-Artikel kaufen Sie auf einmal am Anfang der Periode in optimaler Menge.

Liefer­an­ten­man­age­ment

Nachdem Sie Ihre wichtigsten Waren­grup­pen iden­ti­fiziert haben, analysieren Sie den Beschaf­fungs­markt. Das ist leichter gesagt als getan, doch die Qualität der Daten ist ein entschei­den­des Er­fol­gskri­terium. Erstellen Sie eine Liste von Al­ter­na­tivliefer­an­ten, stan­dar­d­isierte Auss­chrei­bung­sun­ter­la­gen und eine Datenbank mit den wichtigsten In­for­ma­tio­nen zu jedem Lieferanten. Bei der Auf­tragsver­gabe sind diese Strategien denkbar:

  • Second Source: Sie bleiben bei Ihrem Stamm­liefer­an­ten, vergeben aber einen Teil an einen günstigeren Anbieter.
  • Ge­ografis­che Di­ver­si­fika­tion: Sie kaufen bei mehreren Lieferanten, die ver­schiedene Standorte bedienen.
  • Multisource: Jeweils der billigste Anbieter liefert eine Warengruppe; dies kann aber mit hohen Ko­or­di­na­tions- und Liefer­kosten einhergehen.

Maßnahmen aus Sup­ply-Chain-Sicht

Die bisherigen Maßnahmen führen, wenn man die Beschaf­fungs­kette betrachtet, zu einem Null­sum­men­spiel: Bezahlen Sie z. B. Ihre Lieferanten später, steigt zwar Ihre Liquidität, doch jene des Anbieters sinkt. Die Ein­beziehung der gesamten Beschaf­fungs­kette kann dagegen zu einer un­ternehmensübergreifenden Optimierung des Cash-to-Cash Cycle und zu einer Win-win-Sit­u­a­tion für alle Beteiligten führen.

  • Beim fi­nanzierung­sori­en­tierten Supply–Chain-Sourc­ing bündeln und stärken Sie und Ihr Lieferant gemeinsam Ihre Einkauf­s­macht. Die anfänglichen Kosten werden dabei durch günstigere Zahlungskon­di­tio­nen für beide Partner aus­geglichen. Der Aufwand lohnt sich ins­beson­dere dann, wenn die Ma­te­ri­alkosten im Vergleich zu den Gesamtkosten Ihres Produkts hoch sind. Wenn Sie über eine starke Ver­hand­lungs­macht verfügen, nicht aber Ihre Lieferanten, dann beschaffen Sie am besten die Mengen für die Lieferanten.
  • Im Rahmen der Sup­ply-Chain-ori­en­tierten Liefer­an­ten­fi­nanzierung spielen Dritte – z. B. Banken – eine Rolle. Eine Variante davon ist das Reverse Factoring zur Fi­nanzierung des Zulieferers. Sie kaufen etwas von Ihrem Lieferanten, die Fac­tor-Gesellschaft bezahlt ihn vorerst abzüglich des Skontos. Später bezahlen Sie dem Factor die Rechnung inkl. Fi­nanzierungskosten, die schließlich zwischen Ihnen und dem Lieferanten aufgeteilt werden. Rechnen Sie die Ihnen entgangenen Skonti zusammen, wird klar, dass es sich hierbei um eine ziemlich kost­spielige Fi­nanzierung handelt. An­der­er­seits verkürzen sich damit Ihr eigener Cash-to-Cash Cycle und der des Lieferanten. Zur Sup­ply-Chain-ori­en­tierten Liefer­an­ten­fi­nanzierung gehört auch die un­ternehmensübergreifende Fi­nanzierung von In­vesti­tionsgütern. Bieten Sie einem strategisch wichtigen Lieferanten Zugriff auf Ihre Fi­nanzierungskon­di­tio­nen bei Banken oder agieren Sie selbst als Kred­it­nehmer, damit Ihr Lieferant für die hohen Kosten für Forschung und Entwicklung oder für Maschinen nicht alleine aufkommen muss. Dafür ist zwar viel Vertrauen notwendig, doch lässt sich damit auch das Liefer­an­te­naus­fall­risiko reduzieren.
  • Col­lab­o­ra­tive Cash-to-Cash-Man­age­ment nennt man die Zusam­me­nar­beit zwischen Lieferant und Abnehmer, um Synergien im Cash-to-Cash-Man­age­ment zu generieren. Sehen Sie sich z. B. die Lager­hal­tungskosten Ihrer Lieferanten an. Sind diese geringer als Ihre eigenen, stellen Sie auf eine Just-in-time-Liefer­ung um, bei der die Waren länger im Lager des Lieferanten bleiben. Oder hat Ihr Unternehmen niedrigere Kap­italkosten? Dann bezahlen Sie den Zulieferer früher. Die dadurch erzielten Einsparun­gen teilen Sie sich, etwa in Form niedrigerer Einkauf­spreise.

Über die Autoren

Erik Hofmann und Daniel Maucher sind Forscher am Lehrstuhl für Lo­gis­tik­man­age­ment an der Universität St. Gallen. Sabrina Piesker und Philipp Richter sind Mitarbeiter des auf Beschaffung spezial­isierten Be­ratung­sun­ternehmens Kerkhoff Consulting in Düsseldorf.