Grundlagen der Methodik des ganzheitlichen Problemlösens
Immer vielfältiger werden die Problemstellungen, denen sich Unternehmen von heute ausgesetzt sehen und die sich in drei Kategorien unterteilen lassen:
- Einfache Probleme sind durch wenige Einflussgrössen gekennzeichnet (z. B. Einsatzplanung von Mitarbeitern).
- Für komplizierte Problemstellungen sind starke Verknüpfungen von ganz verschiedenen Variablen und Einflussfaktoren charakteristisch (Erstellung des Jahresbudgets oder die logistische Organisation).
- Ein Vielzahl von Einflussgrössen, die sich obendrein im Laufe der Zeit immer wieder verändern, kennzeichnen schliesslich komplexe Probleme. Dazu gehören die Internationalisierung der Märkte, die Umweltproblematik oder veränderte Lebensstile.
„Ein Problem soll immer so einfach wie möglich gesehen werden, aber nicht einfacher!“ (Albert Einstein)
Dabei ist aktuell eine Verlagerung von den einfachen und komplizierten Aufgabenstellungen zu den komplexen Problemen zu beobachten. Diese entstehen aus konkreten Spannungsfeldern:
- Zunehmende Internationalisierung der Unternehmen bei gleichzeitiger Fragmentierung der Märkte.
- Kürzere Reaktionszeiten der Entscheider in Zeiten dynamischerer Firmenentwicklungen.
- Das ungebrochene Streben nach Wohlstand bei gleichzeitiger Fokussierung auf ökologische und soziale Ziele.
„Probleme sind nicht einfach gegeben, sie wollen entdeckt werden.“
Angesichts dieser weiter ausufernden Aufgabenflut müssen Führungskräfte geeignete Methoden zur Bewältigung der „Mega-Aufgaben„ zur Hand haben und v. a. in die unternehmerischen Abläufe implementieren. Da Probleme zudem keine Rücksicht darauf nehmen, wie die Abteilungsabgrenzungen innerhalb einer Organisation angelegt sind, bietet sich die Methodik des ganzheitlichen Problemlösens an, die in fünf Schritten umgesetzt wird:
- Probleme entdecken und identifizieren,
- Zusammenhänge und Spannungsfelder der Problemsituation verstehen,
- Gestaltungs- und Lenkungsmöglichkeiten erarbeiten,
- mögliche Problemlösungen beurteilen und
- Problemlösungen umsetzen und verankern.
Schritt 1: Wie wird das Problem zum Problem?
Durch vernetztes Denken bereits bei der Problementdeckung und -identifikation beleuchten Sie die Situation aus verschiedenen Blickwinkeln und Perspektiven und erreichen so eine ganzheitliche Sicht. Dabei müssen Sie z. B. die unterschiedlichen Standpunkte von Marketing, Einkauf und Personalwesen einbeziehen. Eine darauf basierende Kriterienliste liefert Ihnen letztlich die Schlüsselfaktoren, die für die Beurteilung der Problemsituation ausschlaggebend sind.
„Wir nehmen die Welt durch eine bestimmte Brille wahr und erhalten so nur eine eindimensionale Sicht. Was wir brauchen, sind verschiedene Brillen ... Ein und dieselbe Problemsituation sieht durch die Brille der Aktionäre völlig anders aus als in den Augen der Gewerkschaften.“
Danach muss es Ihnen darum gehen, auf dem Prozessfeld „Unternehmerisch handeln„ die legitimen Anspruchsgruppen teammässig einzubeziehen, ihre Interessen zu Unternehmenszielen zu verdichten und die erforderlichen Kompetenzen zur Erreichung der Ziele zu bestimmen. Abschliessend sorgen Sie dafür, dass jeder auf dem Prozessfeld „Persönlich überzeugen„ seine jeweilige Verantwortung übernimmt und die zugrunde liegenden Visionen für alle transparent gemacht werden. Kernkompetenzen und Schwerpunkte sollten stärker ins Blickfeld rücken, von der vielfach zu beobachtenden Verzettelung der unternehmerischen Aktivitäten müssen Sie Abschied nehmen.
Schritt 2: Wie entsteht aus Teilen ein integriertes Ganzes?
Im Vorfeld der Entwicklung eines Netzwerkes und der Identifikation des zentralen Kreislaufes im Unternehmen müssen Sie herausfinden, wie die verschiedenen Organisationsteile in Beziehung zueinander stehen. Standen im ersten Schritt der Methodik noch die unterschiedlichen Perspektiven oder Standpunkte der verschiedenen Anspruchsgruppen im Vordergrund, so geht es jetzt darum, den zentralen Wirkungskreislauf („Motor„) herauszukristallisieren, der das Ganze (die Problemsituation) antreibt. So ist von den drei möglichen Sichtweisen: des wirtschaftlichen Erfolges, der Umweltverträglichkeit und der sozialen Verantwortung, für das Unternehmen ohne Zweifel der wirtschaftliche Erfolg der zentrale Antriebsmotor. Um diesen Motor des Wirkungskreislaufs müssen Sie anschliessend Einflussgrössen (Image, Kundennutzen, F&E, Verkäufe, Umweltschädigung usw.) herumgruppieren, die letztlich das gesamte Netzwerk Ihrer Firma abbilden.
„Problemlösungen dürfen nicht nur auf die heutige Situation massgeschneidert zugeschnitten werden, sodass sie schon bei der ersten Turbulenz wieder in Frage gestellt werden müssen.“
Soll sich auch beim unternehmerischen Handeln das Denken in Kreisläufen durchsetzen, so müssen Sie künftig nach Prozessen und nicht nach Funktionen organisieren. Damit tragen Sie einer veränderten Ausgangslage Rechnung, in der Kunden die Unternehmen immer stärker unter Druck setzen, indem sie terminliche Verzögerungen oder Qualitätsmängel nicht mehr länger akzeptieren. Um Erfordernissen wie „faster time to market„ oder „customer focus„ nachkommen zu können, müssen Sie demzufolge eine Umverteilung der Verantwortlichkeiten auf ein Team von Führungskräften durchführen. So wurde beispielsweise die Produktion bei Hewlett Packard von der üblichen Gliederung nach den Funktionen F&E, Produktion, Verkauf, Finanz- und Rechnungswesen sowie Personal in organisatorische Einheiten bestehend aus sechs Prozessen überführt. Darüber hinaus widmen heute viele Unternehmen dem Zeitmanagement grössere Aufmerksamkeit, indem sie in ihrem Netzwerk die Beschleunigungsmöglichkeiten aufspüren und damit einem wichtigen Teilaspekt der ganzheitlichen Problemlösung Rechnung tragen.
„Entscheidend für den Erfolg eines Problemlösungsprozesses ist es, dass ganz von Anfang an Verantwortung übernommen und das gewünschte Lösungsverhalten vorgelebt wird.“
Die Konzepte der Prozessorientierung des Unternehmens, Intrapreneurship und Zeitmanagement lassen sich allerdings nur überzeugend umsetzen, wenn Sie dem Teamwork oberste Priorität einräumen. Dabei muss die Reise weg von den Fachabteilungen und hin zu den Prozessteams führen, einfache Aufgabenzuteilungen sollten von multidimensionalen Berufsbildern abgelöst werden und die Ermutigung der Mitarbeiter zur Selbstentfaltung und -initiative an die Stelle der Kontrolle gesetzt werden.
Schritt 3: Welches sind die Ansatzpunkte für Veränderungen?
Wie aber können Sie zur Lösung von Problemen in das Netzwerk eingreifen? Dazu müssen Sie die Verhaltensmuster der nicht lenkbaren Bereiche ermitteln und die Lenkungsmöglichkeiten und -optionen ausloten. Bei einer Zeitschrift wären beispielsweise die redaktionelle Qualität oder Ausgestaltung, die Zusammensetzung des Redaktionsteams, der Verkaufspreis oder die Verkaufsorganisation in unterschiedlichem Ausmass beeinflussbar. In diesem Zusammenhang benennen Sie Grössen des Netzwerks, die als Indikatoren Hinweise darauf geben, wie sich die Problemsituation unter dem Einfluss von Rahmenbedingungen oder durch Ihre Lenkungsaktivitäten verändert.
„Es ist nicht nur eine Führungsaufgabe, Machbares in Gang zu setzen, sondern offensichtlich auch, die Grenzen aufzuzeigen, Einsicht zu fördern und Kontexte zu entwickeln.“
In dieser Phase der ganzheitlichen Problemlösung schliesst das unternehmerische Handeln die Entwicklung von Szenarien ein, um mögliche Zukunftsbilder zu entwerfen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Prognose-Methoden sollen Szenarien die Entwicklung von Umweltkonstellationen als vernetzte Gebilde veranschaulichen. Auf der Grundlage der Szenarien und Simulationsmodelle können Sie nunmehr die Ausgangslage erfassen, die im ersten Schritt der Methodik vorgenommene Problemabgrenzung überprüfen und die Zielsetzung präzisieren. Für das Prozessfeld „Persönlich überzeugen„ ergeben sich daraus die nächsten Handlungsstufen: „Zukunftsorientiert denken und handeln“, „Machbarkeit und Grenzen aufzeigen„ sowie „Zielorientiert führen und Kreativität fördern“.
Schritt 4: Welcher Lösungsansatz passt?
Die auf den ersten Blick optimal erscheinende Problemlösung mit allen Mitteln oder gar brachialer Gewalt durchzusetzen, entspricht sicher nicht dem Sinne der ganzheitlichen Methodik. Vielmehr müssen Sie die Lenkungseingriffe der Komplexität der Problemsituation anpassen, zwischen Bewahrung und Wandel ein harmonisches Gleichgewicht herstellen und u. U. auch ein unkontrolliertes Wachstum vermeiden. Dabei gehört zu der Überprüfung möglicher Problemlösungen sowohl die qualitative Beurteilung der Alternativen als auch ihre quantitative Einordnung.
„Kreativität drückt sich nur selten in Schulnoten aus.“
Allerdings – die herkömmliche Art der Quantifizierung möglicher Problemlösungen, die in der Ermittlung des jeweiligen Gewinnpotenzials besteht, weist bedeutende Schwächen auf. Der finanzielle Erfolg ist nur ein Messkriterium unter vielen.
Die Anwendung der Lenkungseingriffe muss sich auch daran orientieren, ob ihre Umsetzung die harmonische Entwicklung des Unternehmens fördert oder hemmt. Dazu muss sich die Führungsebene ein genaues Bild über die Befindlichkeit der gesamten Organisation machen, die Lernfähigkeit unter die Lupe nehmen, die Führungskultur beleuchten und auch die Unternehmenstradition nicht aus den Augen verlieren. Zudem spielt das Benchmarking zur Beurteilung von Problemlösungen eine immer stärkere Rolle.
„Die Nutzung des Potenzials des Intrapreneurships erweist sich gerade für Grossunternehmen aufgrund des zunehmenden Druckes kleinerer Unternehmen im Markt als notwendig.“
In dieser Phase der praktischen Problemlösung gilt es überdies, die Ermächtigung jedes einzelnen Mitarbeiters („Empowerment„) und damit die Förderung der Eigeninitiative für eine gesunde Entwicklung des gesamten Unternehmens voranzutreiben.
Schritt 5: Wie bringen Sie die Problemlösung zum Laufen?
Um konkrete Problemlösungen nach ganzheitlicher Methodik in Gang zu setzen und anzugehen, werden Sie sie auf jeder Unternehmensebene gesondert gestalten müssen. Denn nicht alle Abteilungen sind auf demselben Wissensstand, manche haben u. U. gerade eine Reorganisation hinter sich.
„Unternehmerisches Handeln bedeutet heute für jedes Unternehmen auch Management der Zeit.“
Sie müssen daher bei der praktischen Umsetzung jedes System dort abholen, wo es gerade ist. So können Sie Abwehrmechanismen und Verunsicherung, Unverständnis, Über- oder Unterforderung vermeiden. Ferner sollten Sie den Mitarbeitern, die in die praktische Lösung der Probleme eingebunden sind, mit einfachen Hilfsmitteln die Wirkungszusammenhänge bildlich erläutern und damit Vorurteile abbauen.
„Eine Vision ist ein Traum mit einem Verfallsdatum.“
Parallel dazu müssen Sie sicherstellen, dass ein ganzheitliches Controlling die Früherkennung und Fortschrittskontrolle im Rahmen der Problemlösungsaktivitäten gewährleistet. Dieses Controlling leitet u. a. über die gezielte Hinterfragung konstruierter Zusammenhänge Korrekturmassnahmen ein. Dabei sollen Denkfehler bei der Systemüberwachung ausgeschaltet werden, wie etwa die fehlende Erkennung der Signale, die eine künftige Verschlechterung oder Abwehr im System ankündigen (fehlende Frühwarnindikatoren).
„Nur wenige Führungskräfte sehen ein, dass sie letztlich nur eine Person führen müssen, nämlich sich selbst.“
Da die Verwirklichung der Problemlösung nicht von heute auf morgen verordnet werden kann, ist eine schrittweise, evolutionär angelegte Durchführung erforderlich, die nicht als Dogma verabsolutiert wird. Die Umsetzung der Problembewältigung setzt dazu eine Zielvereinbarung mit den Mitarbeitern voraus: Kommunizieren Sie Zeit und Mittel, und halten Sie die Massnahmenpläne in Ablauf, Terminvorgaben und Verantwortlichkeiten fest.