Die Finanzwirtschaft ist längst global
Finanzkrisen gehen uns alle an, da sie Millionen Menschen in die Armut treiben können. Und weil diese Krisen - von Südostasien über Russland bis Brasilien - auch auf Fehler und Versäumnisse der Industriestaaten zurückgeführt werden können, ist es notwendig, die Gründe zu hinterfragen. Nur so kann verhindert werden, dass sich solche Krisen genauso oder ähnlich wiederholen. Letztendlich ist auf Grund der Globalisierung kein Land vor etwaigen Fehlentwicklungen im Finanzsektor eines anderen Staates abgeschottet. Doch um die Gefahren zügelloser Finanzmärkte zu bannen oder einzudämmen, sind Regeln notwendig. Regeln, die nur gegen amerikanische Widerstände durchsetzbar sind, denn die internationale Finanzszene wird vom US-Dollar und der Wall Street beherrscht. Doch es gibt ja die Weltbank mit der Aufgabe, armen Ländern zinsgünstige oder zinslose Darlehen zu geben, mit denen die wirtschaftliche Entwicklung gefördert werden soll. Deren Zentrale befindet sich zwar in den USA, doch eine klare US-Hegemonie ist dort nicht zu erkennen. Anders bei bedeutenden Organisationen und Foren wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Gruppe der sieben grössten Industrieländer (G7): Sie werden offenbar von den USA instrumentalisiert, um der amerikanischen Finanzindustrie überall in der Welt die grösstmögliche Freizügigkeit zu sichern.
Die asiatische Katastrophe
Die "asiatischen Katastrophe" des Jahres 1997 ging von Thailand aus und traf auch Malaysia, Indonesien, Südkorea, die Philippinen und in abgeschwächter Form auch Hongkong. In den meisten Fällen war es die Kombination aus einer stabilitätsorientierten Wirtschaftspolitik, Freizügigkeit für den internationalen Kapitalverkehr und festen Wechselkursen, die schliesslich zu einem Finanzdebakel führte. Zuvor waren diese Volkswirtschaften länger als ein Jahrzehnt stetig gewachsen, meist mit zweistelligen Steigerungsraten. Sie galten als "Tigerstaaten", die Japan auf dem Weg zu den führenden Industriestaaten der Welt folgen würden. In diesen Staaten wurde der Aufbau des Sachkapitals für wichtiger gehalten als der Konsum (ähnlich wie in den deutschen "Wirtschaftswunderjahren"), es wurde emsig gespart und die Ausbildung der Menschen verbessert. Selbst die oft kritisierte enge Verzahnung zwischen Politik und Wirtschaft in diesen asiatischen Staaten muss kein Manko sein: "Wenn dieses System dazu beigetragen hat, den schnellsten wirtschaftlichen Fortschritt in der Menschheitsgeschichte zu erreichen, warum sollte dieses System ursächlich für die Krise von 1997 gewesen sein?"
„Wir haben zu fragen, was unterlassen wurde, um wirtschaftliche Katastrophen zu verhindern, was zu tun ist, um zu vermeiden, dass sich so etwas wiederholt.“
Der Grund war vielmehr die Euphorie von Investoren, geboren aus einem unendlichen Vertrauen darin, dass die Tigerstaaten weiterhin gedeihen würden. Diese Länder wurden mit Auslandsgeld geradezu überschüttet, so sehr, dass es nicht genügend rentable Investitionen für dieses Importkapital gab - Überinvestition als Auslöser der Krise. Als sich plötzlich und unerwartet Krisen-Symptome zeigten, griff Panik um sich. Die Regierungen der betroffenen Länder waren ebenso wenig in der Lage, die Gemüter zu beruhigen wie ein Rettungsprogramm des IWF, das eher den gegenteiligen Effekt erreichte.
„Finanzmärkte brauchen Leitplanken, um sie in ruhige Bahnen zu lenken.“
Eskaliert ist die Krise durch das Verhalten der Devisenhändler. Sie haben die internationalen Finanzmärkte längst im Griff. Nur noch 2 % aller Umsätze am Devisenmarkt ergeben sich aus dem internationalen Güteraustausch, zur Finanzierung von Export und Import von Waren oder Dienstleistungen. Ein gutes Drittel betrifft den Aktienhandel. Die verbleibenden mehr als 60 % entfallen auf den Devisenhandel der Banken und anderer Finanzinstitute - und die spekulieren eben.
„Selbst die besten ökonomischen Köpfe sahen die Asienkrise nicht kommen.“
Dabei sind ökonomische Daten für Kurserwartungen zweitrangig, stattdessen geht es um einen internen Meinungsaustausch, in dem das Steigen oder Sinken von Kursen prognostiziert oder zumindest für wahrscheinlich gehalten wird. Der Zeithorizont ist dabei äusserst beschränkt: Ein Tag ist normalerweise das Limit. Das Augenmerk gilt dabei dem schnellen Gewinn. Und der kann umso heftiger ausfallen, je heftiger auch die Wechselkurse schwanken.
„Nichts schliesst aus, dass sich Finanzkrisen wiederholen, möglicherweise mit steigender Heftigkeit und wachsender Frequenz.“
Das mag spannend klingen - und ist es sicherlich auch - aber die Spekulation auf steigende oder fallende Wechselkurse schlägt sich auf die betroffenen Volkswirtschaften nieder, es kann zu steigender Inflation, zu Arbeitslosigkeit, im Extremfall zu existenziellen Finanzkrisen in einzelnen Ländern oder gar Regionen kommen - so wie in Südostasien.
Der Angriff auf den thailändischen Baht
Spekulanten haben 1997 mehrmals versucht, die Abwertung des Baht - der thailändischen Währung - zu erzwingen. Das Prinzip, wie dadurch Gewinne eingestrichen werden können, ist einfach erklärt. Der Devisenhändler nimmt jede Menge Baht-Kredite auf und tauscht diese gegen US-Dollar. Hat die Zentralbank dafür nicht genügend US-Dollar, sinkt der Baht-Wert. Die Spekulanten zahlen die Baht-Kredite zum billigeren Kurs zurück und streichen die Differenz ein. Im Juli 1997 waren das immerhin 30 %.
„Nationale Grenzen sind für wirtschaftliches Handeln kaum noch relevant.“
Das Risiko einer solchen Transaktion ist überschaubar: Scheitert die Spekulation, müssen die Händler nur Kreditzinsen für die Baht-Kredite und Kosten für den Währungsumtausch tragen. Selbstverständlich bedarf es riesiger Summen, um solch einen Angriff auf die Währungsreserven eines Landes zu starten. Wer in diesem Fall zu den Devisenhändler gezählt hat, lässt sich nicht definitiv sagen. 80 % des weltweiten Devisenhandels werden allerdings von nur 150 Finanzinstituten abgewickelt.
„Am Devisenmarkt gibt es keine Regeln für redliches Handeln.“
Bekannt ist, dass der Finanzmagnat George Soros einige Jahre zuvor eine ähnliche Strategie verfolgt hat, um bei Spekulationen mit dem britischen Pfund mehrere Milliarden Dollar an Spekulationsgewinn einzufahren. Es muss davon ausgegangen werden, dass Finanz-Akrobaten nach den Erfahrungen in Thailand auch die Währungen in Indonesien, den Philippinen, Malaysias und Südkoreas in die Zange nahmen - in allen Fällen erfolgreich.
„Jedes Geschäft ist interessant, wenn es hohe Gewinne abwirft.“
Das stürzte die Volkswirtschaften dieser Staaten umgehend in eine Krise, denn die Banken und Unternehmen hatten sich in Erwartung der weiterhin prosperierenden Wirtschaft oft verschuldet - und zwar fast ausschliesslich in US-Dollar. Diese Kredite bei einer z. T. um mehr als die Hälfte entwerteten Landeswährung zurückzuzahlen, war für viele Unternehmen unmöglich: Liquiditätsprobleme waren die Folge. Firmen, die ihre Schulden nicht bezahlen konnten, gingen in Konkurs. Menschen wurden entlassen. Aber auch die, die weiterhin Arbeit hatten, konnten die steigenden Preise nicht mehr bezahlen. Der Staat war gefordert. Durch Steuern konnte er das benötigte Geld nicht hereinholen. Er brauchte internationale Hilfe, den IWF. Und der hatte nicht nur ein Portemonnaie, sondern auch ein Gängelband dabei.
Das anrüchige Spiel des IWF
Der IWF hat heute 182 Mitgliedsstaaten und verfügt derzeit über etwa 295 Mrd. Dollar. Er wurde 1945 gegründet mit dem Ziel, stabile Wechselkurse zu erreichen, die Währungsbeziehungen zwischen den Mitgliedsstaaten zu fördern und bei Zahlungsbilanzdefiziten zeitweilig Kredite zu vergeben. Damit hat der IWF eine Wächterfunktion übernommen - bei der die USA die entscheidende Rolle einnimmt. Die Amerikaner verfügen mit 17,35 % der Anteile über eine Sperrminorität, mit der sie jede missliebige Entscheidung blockieren können.
„Immer ungenierter nutzen die Globalstrategen der amerikanischen Regierung ihre Möglichkeiten, amerikanische Finanzinteressen durchzusetzen.“
Nicht zuletzt der Einfluss der USA ist verantwortlich dafür, dass der IWF seine Aufgaben neu definiert hat als Weltpolizei der Finanzmärkte. Da sich hinter dem Fonds die internationale Bankenwelt sammelte, konnten Länder nur noch dann auf Finanzhilfen bauen, wenn ihre Politik mit dem Weltwährungsfonds abgestimmt war - und die ist marktfundamentalistisch. Der IWF hat sich mit amerikanischer Unterstützung zum obersten Befehlshaber der Weltwirtschaft aufgeschwungen. Seit mittlerweile zwei Jahrzehnten gilt die Regelung, dass Kredite nur dann gewährt werden, wenn eine Reihe von Bedingungen erfüllt sind: Rückführung von Subventionen und Staatsdefiziten, eine restriktive Geldpolitik, Einschnitte in das soziale Netz, die Öffnung, Privatisierung und Deregulierung sämtlicher Märkte und nicht zuletzt die völlige Liberalisierung aller grenzüberschreitenden Transaktionen - auch im finanziellen Bereich.
„Soziale Verantwortung zählt im anglo-amerikanischen Verständnis von Marktwirtschaft nicht gerade zu den vordringlichsten Prioritäten.“
Ein zusätzliches Problem besteht darin, dass Anleger das Verhalten des IWF als Versicherungsschutz nutzen: Ein in die Enge getriebenes Land wird vom Währungsfonds schon "rausgepaukt" werden. So war es auch in Südostasien: Die Rettungsschwadronen des IWF brachen ohne echtes Konzept auf und stülpten einfach die Blaupause für Mexiko darüber - dort hatte die Medizin ein paar Jahre zuvor angeschlagen. Aber Mexiko bewältigt 90 % seines Aussenhandels mit den USA - eine ganz andere Situation als in diesen asiatischen Ländern, deren wichtigster Handelspartner das rezessionsgeplagte Japan war. So entdeckte der IWF in seiner Ignoranz und Verblendung "Strukturprobleme", die jahrzehntelang als Garant für das Wirtschaftswachstum der Tigerstaaten gegolten hatten und vom IWF selbst noch Monate vor der Krise als "richtungsweisend" gepriesen worden waren. Kein Wunder, dass der IWF in den Schwellenländern als "Front-Agentur des Neoliberalismus" gilt.
Ein Stützkorsett für Finanzmärkte?
Wie also könnte man es besser machen, um die Finanzmärkte zu stabilisieren? Drei Voraussetzungen müssen gegeben sein: Erstens sind strukturelle Schwächen nationaler Finanzmärkte und der internationalen Finanzbeziehungen aufzudecken und zu beheben. Zweitens muss die gesamtwirtschaftliche Entwicklung verstetigt werden, um sie berechenbarer werden zu lassen. Drittens müssen Regierungen und internationale Institutionen das Vakuum füllen, das mit der Entnationalisierung von Wirtschaft und Wirtschaftspolitik im Zuge der Globalisierung entstanden ist. Dabei können auch IWF und Weltbank mithelfen.
„Schafft die G7 ab!“
Diese Vorschläge sind bescheiden, aber "der Fortschritt ist eine Schnecke". Transparenz und damit grösst- und schnellstmöglicher Informationsfluss ist eine Möglichkeit, Panik an den Finanzmärkten oft schon im Ansatz zu ersticken. Es sollte darauf abgezielt werden, zu einer stabilen Zinsentwicklung zu gelangen, die sich an gesamtwirtschaftlichen Notwendigkeiten orientiert. Daher sollte die Zinspolitik der Zentralbanken darauf ausgerichtet sein, Preise und Renditen an Finanzmärkten zu verstetigen. Wünschenswert ist ein Wechselkurssystem zumindest zwischen Dollar, Euro und Yen, das Stabilität bringt, ohne starr zu wirken: "kontrollierte Flexibilität" lautet das Stichwort. Denn anders als vermutet haben sich flexible Wechselkurse als äusserst instabil gezeigt und häufig völlig abgekoppelt von ökonomischen Grunddaten. Allerdings werden sämtliche Anregungen für mehr Regeln am Finanzmarkt kaum durchzusetzen sein, solange die USA nicht mitziehen.
Ein Schlusswort von Oskar Lafontaine
Eine Neuordnung der internationalen Finanzmärkte ist notwendig, damit sich diese am Wohl der Schwächeren orientieren. Deshalb müssen die Finanzmärkte so stabilisiert werden, dass Kurse, Preise und Renditen nicht länger flatterhaft und unkalkulierbar sind. Eine Möglichkeit, das hektische Treiben an den Finanzmärkten zu bändigen, besteht darin, den kurzfristigen Kapitalverkehr zu verlangsamen - etwa durch eine Steuer.