Die verschiedenen Distributionssysteme
Zwei wichtige theoretische Ansätze sind zu unterscheiden: zum einen der Transaktionskostenansatz, bei dem die verschiedenen Absatzwege auf ihre Effizienz hin untersucht werden und der damit die Entscheidung über den Absatzweg und die Analyse von Anreizstrukturen beeinflusst. Zum zweiten der Prinzipal-Agenten-Ansatz, bei dem die Vertragsbeziehung und die Effizienz der getroffenen Vereinbarungen zur Erreichung eines bestimmten Ziels durchleuchtet werden. Im Zentrum steht die Übertragung von Aufgaben vom Prinzipal an den Agenten. Der Prinzipal-Agenten-Ansatz eignet sich daher zur Betrachtung der Innenbeziehung zwischen den Partnern im Absatzkanal.
Vertriebsformen mit partieller Kooperation
Bei den Vertriebsformen mit partieller Kooperation werden folgende Systeme unterschieden:
- Selektiv- oder Exklusivvertrieb,
- Systeme mit Ausschliesslichkeitsbindung,
- Systeme mit vertikalen Vertriebsbindungen.
„Die hohe Bedeutung eines Distributionssystems lässt sich nicht allein auf die i.d.R. anfallenden Kosten der Schaffung dauerhafter stabiler Vertriebswege zurückführen, sondern auch auf ausgeprägte Interdependenzen mit anderen Bereichen der Unternehmenspolitik, wie insbesondere dem Marketing und der Logistik.“
Der Selektivvertrieb ist gekennzeichnet durch einen bestimmten Händlerkreis, der vom Hersteller beliefert wird. Extremform ist der Exklusivvertrieb, bei dem nur ein einziger Händler die Produkte in einer bestimmten Region vertreiben darf, wobei marketingbezogene Gesichtspunkte im "Innenverhältnis" von Händler und Produzent besonderes Augenmerk erfordern. Bei dieser Vertriebsform nimmt die allgemeine Verfügbarkeit des Produktes und damit die Gesamtnachfrage ab, da es nur noch bei bestimmten Händlern verfügbar ist. Die festgelegte geringe Händlerzahl garantiert langfristige hohe Deckungsbeiträge. Neben der Preispolitik spielt beim Selektivvertrieb das Marketing des Händlers eine grosse Rolle. Dabei sollte im Optimalfall jeder Händler seine Aktivitäten bis zu einem Punkt verstärken, an dem die Grenzkosten dem Grenzerlös des zusätzlichen Absatzes entsprechen.
„Institutionenökonomische Überlegungen lassen sich plausibel auf die Entscheidung über die Organisation des Absatzkanals anwenden.“
Die Ausschliesslichkeitsbindung verpflichtet einen Händler, bestimmte Produkte nur bei einem Produzenten zu beziehen. Das Bestreben ist von Seiten des Herstellers die Bindung eines oder zahlreicher gut oder kostengünstig arbeitender Händler an den alleinigen Vertrieb der eigenen Produkte. Für konkurrierende Produzenten bleiben dann nur weniger attraktive Vertriebswege. Den Händlern bleibt in dieser Modellüberlegung keine Verhandlungsmacht den Produzenten gegenüber.
„Ein wichtiges Merkmal einer Vertriebsbeziehung stellt die Rollenverteilung zwischen den Partnern dar.“
Welchen Sinn hat eine Kombination von Ausschliesslichkeitsbindung und Selektivvertrieb? Bei diesem Distributionsarrangement verzichten sowohl der Händler als auch der Hersteller auf ein Recht und erzeugen damit einen ökonomischen Vorteil für ihren Vertragspartner. Bei einer vertikalen Vertragsbindung darf ein Handelsunternehmen nicht an bestimmte Dritte, z. B. Endkunden, Grosskunden oder Zwischenhändler, verkaufen. Unterbindet der Hersteller den Verkauf an Grosskunden, so schaltet er den Händler bei Geschäften mit geringen Transaktionskosten aus und steigert seine eigenen Gewinne. Untersagt der Hersteller den Verkauf an Zwischenhändler, kann es neben der Gewinnverteilung auch um die Sicherung der Produktreputation oder die Aufrechterhaltung eines bestimmten Leistungsniveaus gehen. Der Hersteller will daher nur auf bestimmte angesehene Händler zurückgreifen. Damit ist die vertikale Vertragsbindung eine gute Ergänzung zum Selektivvertriebsnetz.
Vertriebsformen mit umfassender Kooperation
Typisches Modell für die umfassende Zusammenarbeit von Systemzentrale und Vertriebseinheit ist, neben Vertragshändlersystemen oder Agentursystemen, das Franchising. Kernelemente des Franchisevertrages sind die Festlegung der Leistungen des Franchisenehmers und -gebers, das Informationsrecht des Franchisegebers, die Gebühren und die Ausschliesslichkeitsbindung des Franchisenehmers, der Gebietsschutz, die Werbekooperation und die Vertragsbeendigung bzw. Kündigung. Franchising bringt Vorteile am Markt: Das einheitliche Erscheinungsbild schafft ein positives Markenimage beim Kunden und eine Kundenbindung. Die Gestaltung des Vertriebssystems obliegt dabei ganz allein dem Franchisegeber. Der Verzicht des Franchisenehmers auf andere Produkte und eigene Wege wird durch die Bereitstellung des Markennamens und eine enge Werbekooperation kompensiert. Ein weiterer Vorteil des Franchisings liegt in der Standardisierung von Verträgen und Beziehungen zwischen den Vertragspartnern. Die Koordinationskosten sinken, Lerneffekte kommen allen zugute. Franchising erfordert eine hohe Motivation des Franchisenehmers, die vertraglich durch finanzielle Arbeitsanreize gefördert werden kann.
Modelle zur Steuerung von Vertriebseinheiten
Ausgehend von einem Distributionssystem mit einer umfassenden Kooperation lassen sich Modelle entwickeln, deren Anwendung optimale Marketingaktivitäten auf der Vertriebsstufe erzielen soll. Methodische Basis ist die Prinzipal-Agenten-Theorie, bei der ein Produzent im einfachsten Fall einem Händler gegenübersteht. Die Aufteilung des Deckungsbeitrages zwischen Systemzentrale und Vertriebseinheit kann mit Hilfe der verschiedenen Modelle errechnet werden. Hier wird davon ausgegangen, dass mehrere Vertriebseinheiten oder Produktgruppen sowie Daten über die Marketingaktivitäten vorhanden sind.
„Selektivvertrieb wird favorisiert, wenn die Bereitstellung von Handelsleistungen für die Vermarktung des Produktes notwendig ist.“
Im ersten Modell wird eine Systemzentrale mit verschiedenen Geschäftsfeldern zugrunde gelegt, die den gleichen Vertriebsweg nutzen. Dies ist z. B. bei der Vermarktung von Bankdienstleistungen und Versicherungsangeboten bei Banken der Fall. Zwischen den Geschäftsbereichen sollte eine starke Interdependenz bestehen. Die Deckungsbeiträge bzw. die Entlohnungsstruktur wird von der Systemzentrale so angelegt, dass eine starke Motivation der Mitarbeiter erzielt wird. Die Beteiligung des Vertriebs am Systemdeckungsbeitrag sollte sich nach diesem Modell bei steigendem Einfluss der Verkaufsanstrengungen auf den Absatz erhöhen.
„Franchising stellt (daher) ein System dar, das günstige Voraussetzungen für die Aufbereitung von Erfahrungen auf der Vertriebsstufe und die Mitteilung von Ideen und Vorschlägen an die Systemzentrale schafft.“
In einem zweiten Modell wird davon ausgegangen, dass eine Vertriebseinheit gemäss ihrer tatsächlichen Verkaufsanstrengungen entlohnt werden soll, auch wenn sich z. B. der Absatz nicht verändert. Dies setzt die Einbeziehung weiterer, schwerer zu erhebender Indikatoren (wie z. B. der Kundenzufriedenheit) voraus.
„In der Praxis lässt sich ein genereller Trend beobachten, Kombinationen von Vertriebsaktivitäten in bestimmten Vertriebskanälen vorzunehmen.“
Die Zusammenführung der beiden Modelle unter den gleichen Prämissen stellt der Systemzentrale drei Grössen zur Verfügung, mit der die Verkaufsanstrengungen der Vertriebseinheit überprüft werden können: der Gewinn der Vertriebseinheit, der Absatz der Vertriebseinheit und ein weiterer Indikator, wie z. B. die Kundenzufriedenheit. Alle Entlohnungsformen sind in diesem Modell relevant. Die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Anreizen der Vertragspartner sind sehr vielfältig, neben der Wirksamkeit der Verkaufsanstrengung als Bemessungsgrundlage spielt auch die Absatz- und Kosteninterdependenz (z. B. sinkende Marketinginvestitionen aufgrund starker Kundenbindung) eine grosse Rolle. Dieses Modell ist an die institutionelle Struktur einer Branche, hier der Mineralölindustrie angepasst, und als hinreichende Abbildung der Realität geeignet, um Aussagen über die Aufteilung von Deckungsbeiträgen im Distributionssystem der Branche machen zu können.
Eine Fallstudie aus der Mineralölwirtschaft
In der Mineralölwirtschaft haben sich bestimmte institutionelle Rahmenbedingungen herausgebildet. Für die Mineralölgesellschaften sind die Tankstellenpartner freie Handelsvertreter, die lediglich von den Gesellschaften eine Provision pro verkauftem Liter beziehen und die Preise für die Agenturwaren (Kraftstoffe, Schmieröle u. a. automobilbezogene Produkte) vorgeschrieben bekommen. Die Bindung an die jeweilige Mineralölgesellschaft ist eng. Der Kraftstoff darf nur bei der Vertragsgesellschaft bezogen werden. Im Shopgeschäft traten bisher die Tankstellenpartner als eigenständige Einzelhändler auf. Inzwischen hat hier das Interesse der Gesellschaften deutlich zugenommen: Grössere Mineralölgesellschaften sind mit Lebensmittelfirmen Joint Ventures eingegangen, um ihren Einfluss zu erhöhen. Damit ist die Mineralölgesellschaft stets an den Gewinnen und an einem bestimmten Teil des Umsatzes des Shopgeschäfts beteiligt. Der Lebensmittellieferer sichert sich auf diese Weise alle einer Mineralölgesellschaft angehörenden Tankstellen und damit einen grossen Kundenstamm.
„Grundsätzlich lässt sich ein Modell zur optimalen Entlohnung von Distributionseinheiten auf praktische Fragestellungen übertragen.“
Die informellen Beziehungen zwischen der Mineralölgesellschaft und den Tankstellenpartnern spielen eine wichtige Rolle. Zwar ist die Beziehung im Nassgeschäft (Kraftstoffe und Öl) vertraglich umfassend geregelt, doch die Gesellschaft hat keinen rechtlichen Zugriff beim Tankstellenpartner auf das Marketing, die Preis- und Sortimentspolitik im Shopgeschäft und das Personalmanagement. Dies könnte durch Vertragsvereinbarungen geändert werden. Als alternative Organisationsform wird in der Praxis folgende Variante diskutiert: Der Partner ist im Shop und im Kraftstoffbereich Handelsvertreter der Mineralölgesellschaft, die dann die Preise und das Sortiment festlegt. Der Verkauf erfolgt in beiden Bereichen gegen Provision. Damit nutzen die Gesellschaften die erheblichen Wachstumsraten im Shopgeschäft und binden den Partner in eine einheitliche Preis- und Sortimentspolitik ein.
„Die organisatorische Gestaltung von Geschäftsbeziehungen zwischen Vertriebspartnern erfordert ein in sich stimmiges Konzept. Die Herauslösung einzelner Vereinbarungen aus dem skizzierten Vertrag verhält sich nicht zwangsläufig neutral im Hinblick auf die Wirkungen anderer Vereinbarungen.“
Die Arrangements für die Preis- und Kommunikationspolitik haben unterschiedliche Auswirkungen. Grundsätzlich könnte entweder die Gesellschaft als Systemführer oder der Tankstellenpartner als Vertriebseinheit den Endabnehmerpreis bestimmen. Eine Zentralisierung der Preissetzung ist notwendig. Damit werden vertikale Verzerrungen durch zu hohe Preisaufschläge durch die Tankstellenpartner vermieden und die bessere Informationslage der Mineralölgesellschaften bezüglich der Nachfrage genutzt. Inwieweit hängt nun das Ausmass der Marketingaktivitäten vom Distributionskanal ab? Dezentrale Marketingaktivitäten verursachen geringere Kosten und wirken motivierend auf die Partner. Andererseits ist die Produktreputation durch zentrale Marketingaktivitäten besser und die Absatzsituation und die Wirkung der Aktivitäten können besser überblickt werden. Die Vor- und Nachteile halten sich die Waage. Damit ist keine eindeutige Entscheidung für eine Zentralisierung oder Dezentralisierung der Marketingaktivitäten möglich.
Die Motivation der Tankstellenpartner muss über finanzielle Anreize gesteigert werden. Bei einer Übertragung des hier entwickelten Modells optimiert die Mineralölgesellschaft ihre Gewinne dadurch, dass sie den Tankstellenpartner so optimal entlohnt, dass er maximale Verkaufsanstrengungen im Kraftstoff- und im Shopbereich unternimmt. Bei der Anwendung des Modells werden die institutionellen Grundzüge der Mineralölbranche (Koexistenz von zwei Geschäftsbereichen) berücksichtigt und lineare Wechselbeziehungen zwischen der Verkaufsanstrengung und dem Absatz in beiden Geschäftsbereichen unterstellt.
Für die Vertragsmodalitäten in der Mineralölwirtschaft gelten folgende Empfehlungen: Für beide Geschäftsbereiche sollte ein zusätzlicher Indikator wie Kundenzufriedenheit als Bemessungsgrundlage dienen, das Entlohnungsgewicht sollte sich zugunsten der neuen Bemessungsgrundlage und des Kraftstoffgeschäftes verschieben und die einzelnen Tankstellen sollten differenziert betrachtet und behandelt werden. Die Marketing- und Preispolitik sollte aufgrund vieler Argumente, in Kombination mit starken Anreizen für die Partner, zentralisiert werden.