Spaß an der Weiterbildung
Spielend lernt es sich besser: Diese Erkenntnis findet mehr und mehr auch in der beruflichen Weiterbildung Gehör. Die Antwort der Personaler auf den puren Zeitvertreib am Computer heißt Serious Games. Die „ernsten Spiele“ dienen nicht primär der Unterhaltung, sondern sollen Informationen und Wissen vermitteln. Weil sie aber trotz ihres Bildungskalküls immer noch Spiele sind, fördern sie die intrinsische Motivation der Lernenden. Sie machen Schwieriges verständlich, trainieren strategische und taktische Fähigkeiten, lassen einen Dinge ausprobieren und machen Spaß. Serious Games bieten die Möglichkeit zum selbst gesteuerten Lernen und passen sich dem individuellen Lerntempo des Nutzers an.
„Spielend lernen zu können ist ein alter Menschheitstraum, gleich nach dem Lernen im Schlaf.“
Vor allem für die Vertreter der konstruktivistischen Lerntheorie sind Computerspiele eine regelrechte Offenbarung. Gemäß dieser Theorie lernen Menschen vor allem dadurch, dass sie Wissen aus verschiedenen Bausteinen zusammensetzen, aus ihren Erfahrungen mit den Objekten in ihrer Umwelt. Das Lernen basiert demnach auf der Interaktion mit Elementen der Umgebung. Viele Computerspiele funktionieren nach demselben Prinzip.
„Der Einsatz von Serious Games im Kontext der beruflichen Aus- und Weiterbildung gewinnt zunehmend an Bedeutung.“
Lernspiele sind keinesfalls eine Entwicklung des Computerzeitalters: Im militärischen Bereich, aber auch in der zivilen Luftfahrt (Flugsimulatoren) z. B. sind sie schon längst weit verbreitet. Ein wichtiges Stichwort ist die Kontextualisierung der Lerninhalte: Menschen lernen besser, wenn sie in einer komplexen, zum Lerninhalt passenden Umgebung lernen. Spiele bieten die Möglichkeit, in einer virtuellen Umgebung die richtigen Inhalte zu erlernen. Programme wie Authorware oder Flash ermöglichen es sogar Nichtprogrammierern, interaktive Anwendungen zu entwerfen. Und: Der technische Fortschritt macht Spiele kostengünstiger als früher (es sei denn, man will die neuesten Trends bei der Gestaltung z. B. realistischer Drei-D-Welten nutzen). Ein Spiel, das 2007 noch 4 Millionen Euro gekostet hätte, ließ sich 2010 für rund 1 Million produzieren.
Der passende Rahmen
Inhaltlich sind Lernspiele erheblich anspruchsvoller als das „Edutainment“ älterer Bauart. Selbst kleine Kinder merken, wenn ihnen ein Spiel plötzlich Rechenaufgaben unterschieben will und reagieren dann schnell mit Lustlosigkeit. Lerninhalte und Spielwelt müssen fest miteinander verwoben und durch einen roten Faden in Form von Geschichten, einem narrativen Rahmen, ausgestattet sein. Nur dann kommt es zur Immersion, dem gänzlichen Eintauchen des Spielers ins Spiel. Im Idealfall gerät dieser in einen Flow-Zustand, der ihn völlig selbstvergessen spielen lässt.
„Unter Serious Games versteht man die Nutzung von Technologien aus der Unterhaltungssoftware, die für ernsthafte Lernansprüche genutzt werden.“
Applied Games sind im Gegensatz zu echten Serious Games weniger Lernhilfsmittel als vielmehr Motivationshilfen. Bestes Beispiel dafür ist die an bekannte Kampfspiele angelehnte Kriegssimulation America’s Army: Das Spiel konfrontiert den Spieler mit typischen militärischen Aufgaben und legt hohen Wert auf Authentizität z. B. bei der Bezeichnung oder der Funktion von Waffen. Das Spiel ist einerseits Propaganda- und andererseits Rekrutierungsinstrument der US-Armee.
Wie ein Spiel entsteht: Entwicklungsschritte
Wie entstehen Lernspiele? Grundsätzlich nicht anders als Unterhaltungsspiele: Nach einer Projektfindungsphase, in deren Rahmen Marktchancen und Finanzierung festgelegt werden, erstellt man in der Vorproduktion das so genannte Gamedesigndokument und das technische Designdokument. Gemeinsam beschreiben sie, was in der Produktionsphase entstehen soll – wobei beide Dokumente immer wieder den sich verändernden Umständen (z. B. neuen Konkurrenzprodukten, veränderten Marktchancen usw.) angepasst werden müssen. In der Produktion müssen dann sämtliche Spielelemente erstellt und einem intensiven Qualitätstest unterzogen werden. Ist das Spiel veröffentlicht, kümmert sich die Postproduktion um den Support für Spieler und das nachträgliche Ausmerzen von Fehlern mittels so genannter Patches. Der Unterschied zu Unterhaltungsspielen liegt vor allem in der Zusammenarbeit mit Fachleuten und Pädagogen, die sich um die didaktische Wissensvermittlung kümmern. Das stellt hohe Ansprüche an die Schnittstellenmanager: Sie müssen Experten, Didaktiker, Gamedesigner und Techniker miteinander vernetzen.
Strategien für die richtige Spielkonzeption
Informelles Lernen mit Serious Games macht Spaß. Damit aber auch der Lerneffekt nicht zu kurz kommt, müssen die Spiele exakt auf die Ansprüche der Nutzer zurechtgeschneidert werden. Sie müssen zweigleisig funktionieren, d. h. sie sollen nicht nur verschiedene Lerntypen, sondern auch verschiedene Spielertypen ansprechen. Wer sich beispielsweise Faktenwissen antrainieren will, wird mit einem allzu verspielten Serious Game schnell unterfordert sein. Soll das Spiel den Nutzer hingegen zum Experimentieren und Ausprobieren anregen und ihn zunächst mit einem Gegenstand spielerisch in Kontakt bringen, darf es nicht zu formal aufgebaut sein: Lektionen wie in einem Lehrbuch mit anschließendem Quiz reichen da nicht aus.
„Den Flow zu erreichen bedeutet, den optimalen Bereich zwischen Über- und Unterforderung gefunden zu haben.“
Fortschrittliche Technologien bereichern Spiele um völlig neuartige Interaktionsmöglichkeiten. Drei-D-Modelle z. B. können Bewegungen und technische Vorgänge sehr echt darstellen. Multitouch-Anwendungen und neue, haptisch orientierte Eingabegeräte, z. B. Touchscreens oder das iPad, geben dem Lernenden neue Manipulationsmöglichkeiten in der virtuellen Welt. Soziale Netzwerke, Wikis und Learning Communitys holen den lernenden Spieler aus der Isolation. Gemeinsam spielen und gemeinsam lernen wird zukünftig zusammengehören. Kommerzielle Titel aus dem Entertainmentbereich sind Beispiele für die gewünschte Immersion, also das tiefe Eintauchen in die Spielwelt.
Reality-Games: Spiele mit der Wirklichkeit
Bei so genannten Reality-Games wird die reale Umgebung des Spielers miteinbezogen: Sie wird als Teil des Spiels empfunden und bietet spannende didaktische Szenarien für eine gänzlich neue Herangehensweise an Lernspiele. Eine Unterform dieser Spielsorte sind Alternate Reality-Games (ARG): Dabei werden von den Spielschöpfern ähnlich einer Schnitzeljagd Hinweise und Rätsel in unterschiedlichen Medien verstreut. Der oder die Spieler müssen einzeln oder gemeinsam versuchen, alle Hinweise richtig zu deuten und ein Ziel zu erreichen – meist im Rahmen eines Events. So etwas funktioniert auch mit einer hohen Mitspielerzahl. Beispielsweise wurde ein ARG im Rahmen des Marketings für den Steven-Spielberg-Film A. I. – Artificial Intelligence eingesetzt, um die Zuschauer neugierig zu machen. Im offiziellen Filmtrailer fanden sich mysteriöse Wortkombinationen, die zu weiteren Hinweisen im Internet, per Telefon und E-Mail führten.
„Bereits die Möglichkeit, Computer, Smartphones, Handhelds oder iPads nutzen zu können, ist für Mitarbeiter eine wichtige Motivationsquelle.“
ARGs sind grundsätzlich darauf ausgerichtet, dass sich mehrere Spieler zusammenfinden, um ein Rätsel zu lösen. Sie lassen ein Social Network entstehen: die perfekte Grundlage für gemeinsames Lernen. Das Besondere an ARGs ist, dass sie nicht nur in eine reale Umgebung eingebunden werden, sondern dass sie damit auch ihren Spielcharakter unterminieren und dem Spieler die Botschaft vermitteln: Das hier ist kein Spiel. Serious Games machen sich diese Spielkonstruktion zunutze und konfrontieren den Lernenden mit einer Mission, deren Erfüllung verschiedene Lernschritte beinhaltet. Im ARG Pheon des Smithsonian American Art Museum müssen die Besucher beispielsweise mithilfe eines Handys Aufgaben lösen, die sie nebenbei mit der Ausstellung vertraut machen.
Anwendungsgebiete: Kommunikation, Simulation, Planspiel
Serious Games erleichtern es, der oft gehörten Forderung nach lebenslangem Lernen nachzukommen. In Umfragen wird immer wieder deutlich, dass zwar die Notwendigkeit zum Lernen gesehen, die konkrete Umsetzung jedoch mit Mühe und Anstrengung in Verbindung gebracht wird. Vor allem in einem Bereich der betrieblichen Bildung können Serious Games ihre Trümpfe ausspielen: beim Training von Kommunikationsfähigkeiten. Auch hier sind es Unterhaltungsspiele, die vorgeben, was möglich und sinnvoll ist.
„Digitale Lernangebote können nicht losgelöst von pädagogischen Szenarien betrachtet werden.“
Praktisch alle Onlinespiele, so auch World of Warcraft, sind als soziale Spiele angelegt. Trotz der meist eher negativen Schlagzeilen, die den Suchtfaktor dieser Spiele betonen, sind sie grundsätzlich auf Kooperation und Kommunikation ausgerichtet. Spieler unterhalten sich entweder per Textchat oder sie bestehen ihre Abenteuer in Gruppen und sprechen ihre Strategien und Aufgabenverteilung per Sprachchat ab. In einigen Studien wird World of Warcraft bereits als Paradebeispiel für die Förderung von Teamleiterfähigkeiten gehandelt.
„Planspiele haben einen klaren Bezug zur Haptik, zum Konstruktivismus und zum Gruppen- bzw. Teamlernen.“
Serious Games gibt es auch in Form von Planspielen und Simulationen. Diese sind nicht nur im militärischen, sondern auch im zivilen Bereich sinnvoll, wo sich Extremsituationen, z. B. ein Waldbrand oder eine Wirtschaftskrise, am Modell gestalten lassen, um die Entschlusskraft der Lernenden auf die Probe zu stellen. Simulationen können als einfache Minispiele Mitarbeiter für eine bestimmte Problematik sensibilisieren oder als komplexes Unternehmensplanspiel ganze Firmen abbilden und so den Lernenden ein Gefühl für die Prozesse in komplexen Organisationen geben.
Beispiele für Serious Games
In Ausbildungssituationen haben es Pädagogen oft mit Jugendlichen zu tun, die nach dem Abschluss ihrer Schullaufbahn keine Lust mehr auf weiteres Lernen haben. Serious Games bieten hier eine gute Möglichkeit, die trockene Ausbildung aufzulockern und die Jugendlichen in ihrer alltäglichen Lebenswelt abzuholen, die nicht selten von Computerspielen geprägt ist. Im Kassenspiel, das im Rahmen eines Projekts von „Schulen ans Netz“ erprobt wurde, werden Auszubildende im Bereich Einzelhandel mit typischen Situationen hinter einer Supermarktkasse konfrontiert: Sie müssen beispielsweise das richtige Wechselgeld herausgeben, anhand der Personalausweisdaten herausfinden, ob ein Kunde Zigaretten oder Alkohol einkaufen darf, und einen Unterschriftsabgleich beim Bezahlen mit EC-Karte vornehmen.
„Ein zentrales Kennzeichen von ARGs ist, dass sie im Spielverlauf intensiv verschiedene Medien nutzen, um ein großes Spieluniversum zu erschaffen.“
Ein weiteres Beispiel für ein Serious Game in der Ausbildung ist TechForce, das im Auftrag des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall 2008 entwickelt wurde: Das Spiel bindet den Spieler in die Entstehung eines Flugzeugs ein, bei dessen Konstruktion viele Informationen über Berufe und Aufgaben in der Metall- und Elektroindustrie vermittelt werden. Ziel: Die Spieler sollen Lust auf technische Berufe bekommen. Durch den geschickt eingesetzten Genre- und Medienmix erfahren sie eine ganze Menge über verschiedene Ausbildungswege und den Bewerbungsprozess.
„Netzwerkspiele, Wikis und inner- sowie außerbetriebliche Learning Communitys spielen bei der Entwicklung von Social Networking im Bereich des informellen Lernens eine immer größere Rolle.“
Ein besonders gelungenes Beispiel für die Weiterbildung von Mitarbeitern im Bereich Projektmanagement ist das Spiel Sharkworld. Dieses Serious Game hat mehrere renommierte Preise gewonnen und ermöglicht dem Spieler, in die Haut eines internationalen Projektmanagers zu schlüpfen, der in Schanghai ein riesiges Haifischaquarium bauen muss. Der Spieler lernt dabei nicht nur, harte Projektparameter wie Zeit, Budget oder Qualität zu kontrollieren, sondern er muss sich auch um Soft-Skill-Themen wie beispielsweise Kundenzufriedenheit und die richtige Zusammenarbeit mit dem Chef und dem Team kümmern. Das Besondere an diesem Spiel ist, dass es nicht auf den Bildschirm beschränkt ist, sondern unterschiedliche Medientypen und Darstellungsformen einsetzt. Websites, Videos, Zeitungsartikel, E-Mails und SMS versetzen den Lernenden in einen quasi echten Projektmanagementprozess.