Dominanz des Westens
John D. Rockefeller war einer der ersten großen Ölprofiteure: Er gründete 1870 die Standard Oil Company. 1911 war das Unternehmen bereits so mächtig, dass die Regierung Rockefeller dazu zwang, es zu zerschlagen. Daraus gingen mehrere amerikanische und britische Ölgesellschaften hervor, die so genannten „Seven Sisters“ (sieben Schwestern). Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts wuchsen sie zu den beherrschenden Ölanbietern weltweit heran. Die Seven Sisters zogen Vorteile aus mehreren Faktoren: Sie teilten die bekannten Ölgebiete unter sich auf; durch Exklusivabkommen mit den örtlichen Regierungen, die sie zunehmend an den Ölgewinnen beteiligten, verhinderten sie weiteren Wettbewerb; sie kontrollierten die gesamte Ölwertschöpfungskette und hatten mehr Fachwissen als ihre Geschäftspartner. Und: Sie steuerten den Ölpreis durch die Ausweitung oder Verknappung ihres Angebotes.
Die Gründung der OPEC
Im Jahr 1960 gründeten der Iran, der Irak, Kuwait, Saudi-Arabien und Venezuela die OPEC (Organization of the Petroleum Exporting Countries), um ihre Interessen als erdölexportierende Staaten besser vertreten zu können. Später kamen weitere Staaten hinzu. Die Macht der Seven Sisters verringerte sich – auch durch die beginnenden Enteignungen von Ölanlagen: In den 60er und 70er Jahren verstaatlichten Venezuela, Libyen, Algerien, der Irak und Saudi-Arabien große Teile der in ihren Ländern betriebenen Ölanlagen, ohne dass es zu Vergeltungsaktionen kam. Andere Länder kauften Erdöl-Konzessionen zurück.
Die Instrumentalisierung des Ölpreises
Die OPEC verfolgte lange die Strategie, die Ölförderung insoweit der Nachfrage anzupassen, dass der Ölpreis die Abnehmer nicht zur Suche nach Alternativen verleitete. Nur vereinzelt brachen Mitgliedsstaaten aus dem Mengendiktat aus. Die ölfördernden Länder verfügten über Lager, mit denen sie das Angebot steuern konnten. Auch westliche Länder wappneten sich in den 1960er Jahren mit Ölreserven gegen unvorhergesehene Ereignisse. Dieses System hielt die Ölpreise bis Anfang der 70er Jahre relativ stabil. Erst mit dem Jom-Kippur-Krieg 1973/74 geriet es ins Wanken. Die OPEC bekundete ihre antiisraelische Haltung u. a. mit geringeren Fördermengen sowie mit Lieferembargos gegen Länder, die Israel unterstützten.
„Das Überraschende war im Rückblick nicht, dass die Araber das Öl als politische Waffe eingesetzt hatten, sondern dass sie so lange damit gewartet hatten.“
Auch die Ölreserven der USA konnten die Preiserhöhung nicht verhindern. 1970 hatte die USA ihren Förderhöhepunkt erreicht. Ab dann nahm die Menge ab, die USA wurden zum Nettoölimporteur. Als solcher hielten sie ihre Reserven nicht mehr im früheren Umfang aufrecht. Die preissetzende Macht lag nun ganz bei der OPEC. Auf die nationalen Sicherheiten ihrer Mitgliedsstaaten bedacht, wollte sie aber grundsätzlich ein gutes Verhältnis mit den USA wahren und steuerte das Ölangebot darum wieder in die Richtung stabiler Ölpreise. Trotzdem wurde nun weltweit nach alternativen Förderfeldern gesucht, auch weil der Ölpreis sich 1979 mit der Iranischen Revolution wieder in vorher ungeahnte Höhen aufschwang.
Chinas neue Geschäftspartner in Afrika
China erschloss 1959 in der Mandschurei erste eigene Ölquellen. Mit der Machtübernahme durch Deng Xiaoping 1978 und den wirtschaftlichen Reformen vergrößerte sich der Ölbedarf stetig. 1993 konnten ihn die inländischen Ölquellen nicht mehr stillen. Seitdem importiert China mehr, als es exportiert. Und die Nachfrage wächst rasant weiter. Deshalb ist China – ähnlich wie Indien – auf der Suche nach Ölquellen, die es für sich sichern kann. Die Auswahl ist begrenzt, andere Marktspieler haben schon risikoarme und ertragreiche Fördergebiete besetzt. So wendet sich China u. a. afrikanischen Staaten zu, z. B. Sudan, Tschad, Nigeria, Angola, Algerien, Gabun, Äquatorialguinea und der Republik Kongo. Die vier staatseigenen chinesischen Ölgesellschaften werben mit Krediten für Militärausrüstungen, Finanzierung von Infrastrukturprojekten, landwirtschaftlichen Entwicklungsprogrammen und Bildungsmaßnahmen – umfassendere Anreize, als sie andere Ölgesellschaften bieten können. Weil China solche Angebote auch Staaten macht, die eine fragwürdige Führung haben, wird dem Land vorgeworfen, politische Strategien der internationalen Gemeinschaft gegen Korruption und Menschenrechtsverletzungen zu unterwandern. Denn die so umworbenen Staaten spielen nun die verschiedenen Akteure auf der internationalen Bühne gegeneinander aus. Chinas Einfluss auf Afrika kann aber auch positiv gesehen werden: Die Investitionen brachten den ölexportierenden Ländern einen Wachstumsschub.
Ein afrikanisches Beispiel für Good Governance
Der westafrikanische Inselstaat São Tomé und Príncipe ist das zweitkleinste Land Afrikas. Seit den 1990er Jahren wird es demokratisch regiert. Es gehörte zu den ärmsten Nationen, bis 2003 Öl vor der Küste entdeckt wurde. Auch wenn die Erschließung dauern wird, elektrisierte der Fund alle: Westliche Firmen kauften Erkundungsrechte, die USA errichteten eine Marinebasis zum Schutz der geostrategisch wichtigen Ölquellen und die Bevölkerung träumte von Reichtum. Ihr Staatspräsident wollte die Einnahmen klug verwenden. Gemeinsam mit Jeffrey Sachs, einem amerikanischen Experten für Entwicklungshilfe, setzte er 2004 ein innovatives Gesetz in Kraft: Alle Öleinnahmen fließen direkt auf ein Konto bei der US-Zentralbank. Die jeweils amtierende Regierung kann nur einen kleinen Teil für den laufenden Staatshaushalt abheben. Das meiste wird für die Zukunft gespart. Die Geschäfte mit dem Öl kontrolliert ein Ausschuss von São Toméern. Ob dieses Modell funktioniert, wird sich mit Beginn der kommerziellen Produktion in einigen Jahren zeigen.
Aufstieg der nationalen Ölgesellschaften
Der in den 1960er Jahren begonnene Trend, Ölanlagen zurückzukaufen oder zu verstaatlichen, setzt sich im 21. Jahrhundert fort. Die Seven Sisters, mittlerweile auf fünf geschrumpft, haben 2008 weniger als 5 % der bekannten Reserven in ihrem Portfolio. Die staatlichen nationalen Ölgesellschaften (National Oil Companies, NOC) dominieren die weltweiten Märkte – obwohl ihre Einnahmen häufig für anderes als für Reinvestitionen in das Ölgeschäft verwendet werden. Die saudi-arabische Aramco gibt noch den Ton an, die NOC aus den Schwellenländern holen auf. Unterstützt von ihren Regierungen legen sie mitunter ein herausforderndes Geschäftsgebaren an den Tag, indem sie z. B. einseitig Verträge ändern. Auch bevorzugen die NOC häufig aus politischen Gründen russische und chinesische Geschäftspartner gegenüber westlichen Ölgesellschaften.
„Beobachter des Ölgeschäfts registrierten, dass bei diesem arabischen Ölembargo erstmals ein ölproduzierender Staat ernsthaft seine politischen Muskeln spielen ließ.“
Selbst wenn Verträge mit westlichen Unternehmen zustande kommen – vorzugsweise in der Form von Joint Ventures –, können diese ihre langfristigen Kapitalinvestitionen nicht gänzlich vor politischen Umwälzungen schützen. Das Problem ist jedoch, dass mittlerweile weltweit die Alternativen zu gering sind, als dass die westlichen Ölgesellschaften es sich leisten könnten, Möglichkeiten auszuschlagen. Zu den größten und auffälligsten Ölaggressoren zählen der Iran, der mit seinem ölfinanzierten Nuklearprogramm seinen Erzfeind Israel und dessen Verbündete bedroht, Venezuela, dessen Regierung westliche Investoren brüskiert, und Russland.
Russland greift in die Privatwirtschaft ein
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 übernahmen russische Unternehmer ehemalige Staatsbetriebe. Einige wurden als reiche Oligarchen bekannt, so etwa Michail Chodorkowski, Vorstandsvorsitzender und Hauptaktionär der Ölgesellschaft Jukos. In der Ära Putin warf ihm 2003 die Staatsanwaltschaft Betrug und Steuerhinterziehung vor. Das Gericht kopierte im Urteil mehrheitlich die Anklageschrift: Ende 2010 bestrafte es Chodorkowski zu dreizehneinhalb Jahren Gefängnis. In der Zwischenzeit übernahm der staatseigene Konkurrent Rosneft die angeschlagene Jukos. Öldevisen wurden zur willkommenen Stütze des Staatshaushalts. Für die Weiterentwicklung seiner NOC umwarb der Kreml deshalb westliche Investoren als Joint-Venture-Partner. Jedoch schreckte die Unwägbarkeit der staatlichen Eingriffe einige zunächst ab. 2006 schloss Russland trotzdem zur Spitze der Ölexporteure auf: Nur Saudi-Arabien führte mehr aus. Große, unerschlossene Ölgebiete sowie die steigende Ölnachfrage sichern mittelfristig Russlands Stellung als Ölmacht.
„Es kann kein Zweifel bestehen, dass die chinesische Eroberung Afrikas dem Kontinent ein völlig neues Aussehen verliehen hat.“
Und diese Macht nutzt Russland als Preissetzer, zur Auswahl seiner Kunden, in Konflikten wie in Georgien 2008 und bei der Neuinterpretation von Geschäften. Royal Dutch Shell erfuhr das 2006 bei seiner Mehrheitsbeteiligung am integrierten Öl- und Erdgas-Projekt Sachalin 2: Shell hatte bereits das Doppelte der ursprünglich veranschlagten Summe investiert. Da beanstandeten russische Behörden das zugrunde liegende Dokument. Klar war: Wenn die Behörden Shell die Rechte am Projekt aberkennen würden, würde Gazprom profitieren, eine staatliche Ölgesellschaft. Chevron erlebte ebenfalls staatliche Eingriffe: Bei dem Vorhaben, die Lieferkapazität einer Ölpipeline von Kasachstan zum Schwarzen Meer zu verdoppeln, zeigte sich der russische Minderheitsaktionär mit seinem Profitanteil unzufrieden. Jedoch konnte er selbst nichts bewirken. So blockierte die russische Regierung im Herbst 2007 den Ausbau. British Petrol (BP), die etwa 25 % ihres Öls in Russland produziert, war ebenfalls staatlicher Willkür ausgesetzt: Im Juli 2008 wurde dem Manager eines Joint Ventures das Arbeitsvisum entzogen. Der damalige BP-Vorsitzende vermutete als Grund politisch gestützte Übernahmeabsichten seines russischen Partners.
Finanzmärkte ergänzen die politische Preisbildung
Informationen über die Ölindustrie und über Ölpreise sowie Prognosen waren lange Zeit nur beschränkt verfügbar. Die Wochenzeitschrift Oil & Gas Journal, herausgegeben vom American Petroleum Institute, war lange eine der wenigen Insiderquellen. Erst die zunehmende Preisvolatilität machte die Ölpreise für Händler und Spekulanten interessant. 1978 führte die New Yorker Warenterminbörse Nymex die ersten Öl-Future-Kontrakte ein. Heute nutzen viele die Börsen in New York, London, Singapur, Iran, Katar und Dubai, um sich gegen steigende Preise zu versichern oder um auf Preisbewegungen zu spekulieren. Die Werte der Future-Verträge sind mittlerweile zu den wichtigsten Indizien für Ölpreisbewegungen geworden – allerdings mitunter ohne Bezug zu den realen Energiemärkten.
Wie viele Ölreserven sind noch vorhanden?
Ein viel beachteter, früher Analyst dieser Frage war der bei Shell Oil angestellte Geophysiker M. King Hubbert. Er prognostizierte 1949 einen glockenförmigen Kurvenverlauf der Ölförderung mit einem Gipfel im Jahr 1970 und dem Ende zwischen 2060 und 2070. Bis heute sind sich die Experten uneins, ob Hubbert richtig lag.
„Die Machtverschiebung wird auf kurze Sicht zu Gewalt führen, wenn ein Staat gegen den anderen um die letzten Tropfen eines fossilen Brennstoffes kämpft, der eines Tages genauso sicher erschöpft sein wird, wie es vor über hundert Jahren das Walöl für die Lampen war.“
Für seine Prognose spricht der Rückgang der US-amerikanischen Fördermenge seit 1970. Dagegen ist einzuwenden, dass sich seitdem die entdeckten und vermuteten Gesamtölreserven vergrößert haben. Jedoch gibt es keine allgemeingültige Kalkulationsmethode für Reserven. Zwar werden zwei Arten unterschieden: die geologisch nachgewiesenen und wirtschaftlich förderbaren Reserven sowie die wahrscheinlichen Reserven, die als vermutlich wirtschaftlich förderbar eingestuft werden. Diese Klassifizierung ist aber abhängig vom Stand der Technik und der Gesetze, geprägt von Einschätzungen und getrieben durch Aktienkurse: Je höher die Zahl der Reserven ist, auf die eine Ölgesellschaft angeblich Zugriff hat, umso höher werden deren Aktien bewertet. Gemeinsam ist den alten und den neuen Prognosen nur: Der Förderzenit wird bis etwa 2030 erreicht oder überschritten sein.
Ausblick
Der richtige Zeitpunkt, um frühzeitig im großen Ausmaß nach Alternativen zum Erdöl zu suchen, hat man bereits verpasst. Angesichts des voraussichtlichen Endes der Ölreserven und der geschätzten Verdopplung der Nachfrage in den nächsten zwei Jahrzehnten werden gewaltsame Auseinandersetzungen immer wahrscheinlicher. Beispielsweise könnte es zu Konflikten zwischen den beiden großen Nachfragern USA und China kommen – dieses Szenario wurde jedenfalls bereits von Militärplanern des Pentagons durchgespielt.
„Machtverschiebung bedeutet, dass die Teilnehmer an der modernen Version des Ölspiels die alten Regeln abgeschafft haben und neue Teilnehmer nach der Macht greifen.“
Umweltfreundlichere Technologien zur Energiegewinnung werden sich erst langsam und evolutionär entwickeln. Komplementär dazu werden die Gesellschaften energiesparender leben. Bis dahin werden wahrscheinlich auch andere fossile Brennstoffe sowie die Kernenergie genutzt werden.