Pleite

Buch Pleite

Griechenland, der Euro und die Staatsschuldenkrise

Bloomberg,
Auch erhältlich auf: Englisch


Rezension

Spannender als dieses Buch über den Fall Griechen­lands, die in­ter­na­tionale Staatss­chuldenkrise und den krankenden Euro kann kein Thriller sein. Autor Matthew Lynn zeigt, wie Politik, Finanzwelt und Gesellschaft über Jahre hinweg die Augen vor dem Of­fen­sichtlichen ver­schlossen haben, nämlich, dass Schulden nicht mit neuen Schulden abgebaut werden können und dass der Euro weniger ein Segen für die Volk­swirtschaft als deren Untergang sein könnte. Deshalb, so Lynns mit plausiblen Argumenten un­ter­mauerte Meinung, sollte der Euro in seiner jetzigen Form abgeschafft werden. Lynn entwirft dafür konkrete und begehbare Wege und führt öffentlich rauf- und run­terge­betete und selten hin­ter­fragte Mantras à la „Der Euro muss um jeden Preis erhalten werden“ ad absurdum. Man wird mit neuen und vielleicht bislang undenkbaren Ideen kon­fron­tiert und erkennt am Ende des Buches, dass eine Weltwirtschaft ohne Euro nicht halb so dramatisch sein muss, wie es führende EU-Poli­tiker gerne behaupten. Wer wissen will, wohin Europa und die Weltwirtschaft steuern, kommt um dieses provokante Buch keinesfalls herum, findet BooksInShort.

Take-aways

  • Griechen­land konnte dank dem Euro noch mehr als schon zuvor auf Pump leben.
  • Auch andere EU-Staaten, vor allem die südlichen, nutzten rege den billigen Geldfluss der Europäischen Zentralbank.
  • Als es zur weltweiten Schuldenkrise kam, wurden erneut günstige Kredite bere­it­gestellt, statt dass man über Sparsamkeit nachgedacht hätte.
  • Neben der Ver­schul­dung krankt Griechen­land auch an einer ex­portschwachen Wirtschaft und an Korruption.
  • Als Antwort auf die Schuldenkrise präsentierte Griechen­land ein ehrgeiziges Sparpro­gramm, gegen das die Bevölkerung auf die Barrikaden ging.
  • Im Mai 2010 ve­r­ab­schiede­ten die EU-Länder ein Ret­tungspaket über 750 Milliarden Euro für defizitäre Mitgliedsländer.
  • Kritiker stuften das Ret­tungspaket als nutzlos ein, da es statt Wachstum nur die De­fla­tion­sspi­rale beschle­u­nige.
  • Die Abschaffung des Euro, früher nur als Katas­tro­phen­szenario bemüht, wird plötzlich ernsthaft diskutiert.
  • Alternativ könnte auch nur Deutschland oder nur Griechen­land zur nationalen Währung zurückkehren.
  • Ohne Euro hätten die meisten EU-Staaten dank einer moderaten Währungsab­w­er­tung gute Chancen zu wachsen.
 

Zusammenfassung

Plötzlich Euroland

Als Griechen­land – nach einer anfänglichen Ablehnung – der Zutritt zum Euroraum gewährt wurde, wunderten sich viele Ökonomen. Denn der Euro, so hatten es sich vor allem die Deutschen gewünscht, sollte den teil­nehmenden Volk­swirtschaften Stabilität und Wachstum bringen – und auch abverlangen. Dafür durfte das Haushalts­de­fizit bei nicht mehr als 3 % des Brut­toin­land­spro­dukts (BIP) liegen. Die Staatsver­schul­dung Griechen­lands betrug 1990 74 % des BIP, das Haushalts­de­fizit lag bei 15 %. Die Wirtschaft des Landes war fast ausschließlich durch Staat­saus­gaben angekurbelt worden. Exportfähige Produkte und Di­en­stleis­tun­gen gab es kaum. Zwischen 1999 und 2001 gelang es den Griechen dann auf geradezu märchenhafte Weise, die Stabilitäts- und Wach­s­tum­skri­te­rien zu erfüllen. Quasi über Nacht sank das Haushalts­de­fizit auf 1 % vom BIP. Die Staatsver­schul­dung stieg nur noch moderat. Selbst die In­fla­tion­srate konnte sich mit unter 5 % sehen lassen. Es gab also keinen Grund mehr, Griechen­land außen vor zu lassen. Für die Griechen erfüllte sich damit ein lang gehegter Wunsch: Als Euroland kam man zu zinsgünstigen Krediten. Die Nachfrage nach Staat­san­lei­hen stieg rasant.

Party im „Club Med“

Auch die anderen südlich gelegenen EU-Länder freuten sich über den Geldfluss, den der Euro ihnen bescherte. Günstige Zinssätze der Europäischen Zentralbank (EZB) sorgten für eine Ver­schul­dung nicht nur der Regierungen, sondern auch der privaten Haushalte, wie beispiel­sweise in Spanien: Immobilien konnten so günstig wie nie zuvor finanziert werden. Schließlich ließ sich so auch der relativ hohen In­fla­tion­srate von 4 % ein Schnippchen schlagen. Die Im­mo­bilien­preise stiegen zwischen 1990 und 2009 um 80 %. Kred­it­laufzeiten von 50 Jahren waren normal. In Portugal und Irland sah es ähnlich aus. Exportländer wie Deutschland prof­i­tierten von diesem Boom auf Pump. Und natürlich die Banken, die sich mit den Krediten eine goldene Nase verdienten. Die drei deutschen Wirtschaft­spro­fes­soren Hankel, Starbatty und Nölling sowie der Rechtswis­senschaftler Schachtschnei­der erkannten die Schwach­stellen des Euro und zogen vor das Bun­desver­fas­sungs­gericht. Sie ar­gu­men­tierten, dass

  • die Volk­swirtschaften der Teilnehmerländer zu verschieden seien,
  • der Kon­trollmech­a­nis­mus zu schwach sei und damit
  • die Preis­sta­bilität gefährdet würde.
„Wenn es möglich wäre, dass eine Währung sich ein behagliches Paar Hausschuhe anziehen und sich eine Tasse heißen Kakao kochen könnte, dann wäre es genau das, was der Euro tun würde.“

Damals wurden die Experten jedoch für ihre Bedenken als „extreme Randgruppe“ abgetan und quasi davongejagt.

Schulden durch neue Schulden bekämpfen

Die südlichen Eurostaaten ver­schulde­ten sich immer stärker. Statt die Ausgaben zu drosseln und eine wet­tbe­werbsfähige Wirtschaft zu schaffen, nahmen sie immer weitere Kredite auf. Diese Strategie war aber nicht nur bei diesen so genannten „Club Med“-Ländern populär, sondern bei allen Staaten, wie sich beim G-20-Gipfel am 2. April 2009 in London zeigte. Die weltweite Schuldenkrise sollte mit einer exzessiven Ausweitung der Staat­saus­gaben behoben werden. Das geschnürte Maßnahmenpaket schloss neben Geldern für den öffentlichen Sektor auch Not­fal­lkred­ite für angeschla­gene Banken ein. Diese waren ins Straucheln geraten, als ihre un­durch­sichti­gen Fi­nanzpro­dukte, basierend auf faulen Krediten, keine Käufer mehr fanden. Eine weitere Maßnahme wird in Fachkreisen als „quan­ti­ta­tive Lockerung“ bezeichnet. Dieser abstrakte Begriff steht für drastische Zinssenkun­gen bzw. die Emission von neuem Geld, wodurch letztlich aber nur die Schulden weiter steigen und die Inflation weiter angeheizt wird. Banken bekamen von der EZB für ca. 1 % Zinsen jede Summe, die sie wollten. Dafür kauften sie Staat­san­lei­hen, wie beispiel­sweise von Griechen­land, die ca. 4 % Rendite erzielten. Die EZB wiederum akzeptierte solche Anleihen als Bürgschaft – für die Banken ein Geschäft, dem sie nicht widerstehen konnten.

Willkommen im Schlaraf­fen­land!

Im September 2004 gab die Europäische Kommission zu, dass Griechen­land mit „sig­nifikan­ten Irrtümern in der Rech­nungsle­gung“ in die Währungs­ge­mein­schaft aufgenommen worden war. Man hatte, so gestand der griechische Fi­nanzmin­is­ter am Tag danach, von Anfang an gelogen, um den Euro zu bekommen. Die Zahlen seien allesamt manipuliert und schöngerechnet worden. Statt der angegebenen 2 % Haushalts­de­fizit beispiel­sweise lag der Satz nach der Neube­w­er­tung bei 4,1 % vom BIP. Auch Eurostat, die Sta­tis­tik­behörde der EU, kam zu dem gleichen Ergebnis: Griechen­land hatte die Kriterien für den Euro niemals wirklich erfüllt. Bestraft wurde das Land dennoch nicht. Bei genauerem Hinschauen wurde erst das wahre Ausmaß des Betrugs deutlich. Die Regierung war nicht in der Lage, Steuern mit der gebotenen Härte einzutreiben. Der Großteil der Bevölkerung gab Einkünfte auf der Steuererklärung schlicht nicht an. Hinzu kam eine ausufernde Korruption; Geld floss in dunkle Kanäle statt in die Regierungskasse. Von den Staat­saus­gaben ganz zu schweigen: Die Rente beträgt in Griechen­land beispiel­sweise durch­schnit­tlich 96 % des Ar­beit­slohns, und das bei einem Rentenein­trittsalter von 58 Jahren.

Griechen­land in der Schuldenkrise

Mit der ersten Her­ab­stu­fung der griechis­chen Staat­san­lei­hen durch Standard & Poor’s am 7. Dezember 2009 wurde klar: Griechen­land ist so hoch verschuldet, dass es sich nicht selbst aus dieser Falle befreien kann. In der Folge wurde das Rating immer schlechter. Die EU-Staaten versprachen zwar zunächst Solidarität, beriefen sich aber auf den Vertrag von Maastricht, demzufolge jeder Mit­gliedsstaat solche Probleme eigen­ver­ant­wortlich zu bewältigen hat. Ministerpräsident Giorgos Papandreou beteuerte denn auch, dass sich sein Land mit radikalen Maßnahmen am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen werde. Ein ehrgeiziges Sparpaket wurde präsentiert. Die griechische Bevölkerung, die ihre Pfründe schwinden sah, ging auf die Barrikaden und machte deutlich, dass sie sich mit allen Mitteln widersetzen würde. Im Frühjahr 2010 begannen die Regierungen der EU-Staaten dann erstmals, über ein Ret­tungspaket nachzu­denken. Im April wurde ein Paket von 45 Milliarden Euro geschnürt, von denen 30 Milliarden von der EU und 15 Milliarden vom In­ter­na­tionalen Währungsfonds (IWF) kommen sollten. Doch es dauerte nicht lange, bis man einsah, dass diese Summe bei Weitem nicht ausreichem würde; außerdem scheiterte die Aktivierung des Pakets am Widerstand Deutsch­lands.

Ret­tungspaket über 750 Milliarden Euro

Am Wochenende des 7. Mai 2010 wurde dann auf einem besonderen Gipfel­tr­e­f­fen der EU-Länder in Brüssel endlich ein Ret­tungspaket ve­r­ab­schiedet. Bis die Maßnahmen verkündet werden konnten, wurden jedoch zahlreiche heiße Debatten geführt. Deutschland etwa achtete peinlichst darauf, dass das Ret­tungspaket auch ver­fas­sungskon­form war. Kurz vor der Eröffnung der Tokioter Börse wurden die Ver­hand­lun­gen erfolgreich beendet. Mit 750 Milliarden Euro sollte die Gemein­schaftswährung wieder sta­bil­isiert und Euroländern mit zu großem Haushalts­de­fizit unter die Arme gegriffen werden. Das Paket sieht folgendermaßen aus: Die Regierungen der Euroländer stellen einem Fonds Garantien in Höhe von 440 Milliarden Euro zur Verfügung; dieser Fonds soll dann Anleihen emittieren und die Einnahmen als Kredite an die um ihre Existenz kämpfenden Mit­gliedsstaaten weitergeben. Weitere 60 Milliarden Euro sollen aus dem Haushalt der EU fließen. 250 Milliarden Euro sollen vom IWF kommen.

Zum Scheitern verurteilt

Kritiker vermissen in diesem Ret­tungspaket nen­nenswerte Anreize für die Euroländer, sich an den Stabilitäts- und Wach­s­tumspakt zu halten. Außerdem würde das Paket eine Schulden- und De­fla­tions-Spi­rale in Gang setzen: Durch die erzwungenen Sparmaßnahmen müssten Löhne und Gehälter sinken und damit wiederum die Konsumkraft der Bevölkerung. Das würde den betroffenen Ländern weniger Steuere­in­nah­men bescheren, und die Schulden­si­t­u­a­tion würde sich so eher ver­schlechtern als verbessern. Das Paket macht zudem offenkundig, dass die für die Eurozone geltenden Vorschriften im Grunde nichts wert sind. Es ist davon auszugehen, dass bei der nächsten Krise die Regelungen ganz nach Bedarf erneut umgeworfen werden. Was dem Ret­tungspaket vollkommen fehlt, sind Mittel zur Förderung des Wachstums.

„Innerhalb von fünf Jahren wird sich jeder fragen, was das alles für ein Quatsch war – und weshalb man sich nicht sofort vom Euro getrennt hat.“

Und noch etwas ist übersehen worden: Die Ver­schul­dung betrifft nicht nur die „Club Med“-Länder der EU, sondern weltweit einen Großteil der Volk­swirtschaften, allen voran die Vereinigten Staaten und Japan. Auch Deutschland war und ist nicht gerade ein Musterknabe, wenn es um sparsames Haushalten mit den öffentlichen Geldern geht. Aber um beim Sorgenkind Griechen­land zu bleiben: Trotz Ret­tungspaket drehte sich die Ab­w­er­tungsspi­rale weiter. Die Citigroup etwa schloss griechische Anleihen aus den be­deu­tend­sten weltweiten An­lei­henin­dizes aus.

Geht es wirklich nicht ohne den Euro?

In der verfahrenen Situation werden Rufe nach einem Austritt defizitärer Länder aus der Eurozone laut. Welche Lösungen gibt es?

  • Griechen­land kehrt zur Drachme zurück: Es käme zu einer Abwertung der griechis­chen Währung gegenüber dem Euro. EZB oder IWF müssten Um­stel­lung­shil­fen leisten, damit das Banken­sys­tem liquide bleibt. Griechen­land müsste seine schwache Wirtschaft nicht mehr an die von ökonomisch mächtigen Staaten wie Deutschland binden.
  • Deutschland verlässt die Eurozone: Die D-Mark erführe zunächst eine Aufwertung gegenüber dem Euro. Weil aus Deutschland aber eher Qualitäts- als Bil­lig­pro­dukte ausgeführt werden, sollte das die Exporte nicht belasten. Schwache Länder müssten von den Deutschen nicht mehr unterstützt werden. Importe würde dank Aufwertung billiger werden. Außerdem würden Aus­land­sreisen für deutsche Bürger günstiger.
  • Es gibt wieder konkur­ri­erende Währungen: Die Länder kehren zu ihren alten Währungen zurück, während die EU mitsamt ihrer Be­we­gungs­frei­heit für Güter, Geld und Personen bestehen bleibt. Die Volk­swirtschaften schwacher Staaten könnten von niedrigen Zinsen und Wech­selkursen profitieren. Starke Staaten würden mehr importieren und damit ihre schwachen Nachbarn stärken. Als Finanzwährung könnte der Euro sogar erhalten bleiben, auch als zweite Währung neben der eigenen. Das würde die Länder zwingen, ihre nationale Währung zu stärken und nicht durch Überschul­dung zu schwächen.

Die Weltwirtschaft nach dem Euro

Die Weltwirtschaft wird nicht in die Brüche gehen, wenn es den Euro nicht mehr gibt. Zunächst könnten sich die Geldmärkte wieder auf den Dollar konzen­tri­eren. Da sich dieser in der Ver­gan­gen­heit auch nicht als sehr stabil erwiesen hat, würden die Investoren auch auf Gold setzen oder auf den chi­ne­sis­chen Yuan, auf Rohstoffe oder auf etwas, an das noch niemand denkt. Die meisten EU-Staaten würden sich nach einer kurzen Durst­strecke gut erholen und dank moderater Währungsab­w­er­tung wachsen; neue Arbeitsplätze würden entstehen. Wenn mehr gearbeitet wird, kann auch mehr konsumiert werden, wodurch die Wirtschaft weiter beflügelt würde. Die Steuere­in­nah­men der Staaten würden steigen und die Ver­schul­dung würde sinken. Deutschland würde von seiner sicheren D-Mark profitieren, in die viele Investoren aus Angst vor den volatilen Fremdwährungsmärkten flüchten würden. Die Staaten würden für den eigenen Bedarf wieder selbst produzieren. Das Lohnniveau en­twick­el­ter und sich en­twick­el­nder Länder könnte sich so nach und nach angleichen.

Über den Autor

Matthew Lynn ist Kommentator bei Bloomberg TV, Kolumnist bei Bloomberg News und Money Week. Er schrieb für die Sunday Times und arbeitet heute für den Spectator in London. Daneben ist er als Matt Lynn Autor mehrerer Thriller.